AIL Mai 2018
aus der Kammer 14 | Arzt im Ländle 05-2018 Wo steht der Ärztekammer-Visionsprozess im Moment? Metzler: „DenHintergrund für die Prozessinitiative vor drei Jahren bildete das Bedürfnis der Ärzteschaft, auf die Veränderungen im gesundheitspolitischen Bereich mit aktiver Beteiligung zu reagie- ren.Wir nannten es ,Neue Zeiten – Neue Herausforderungen‘ und formulierten dazu verschiedene visionäre Thesen. Das Erfreuliche ist, dass wir zu den verschiedenen, damals wie heute herausfor- dernden, aber bedeutenden Thesen gut auf demWeg sind. Es geht um Selbstverantwortung, um lustvolles Arbeiten und die Freude am Arztberuf, um einen dynamischen Gesundheits- und Krank- heitsbegriff, um eine Solidargemeinschaft zwischen PatientInnen, ÄrztInnen und anderen Gesundheitsberufen. Es geht darum, aktiv die Gesundheitspolitik mitzugestalten, das eigene Wissen einzu- bringen, PartnerInnen auf Augenhöhe für die Gesundheitspoliti- kerInnen zu sein. Die Ärztekammer ist nicht nur das Verwaltungs- gremium, sondern die Stimme der ÄrztInnen im Land, denn die haben keine Stimme, wenn sie es nicht selber sind.“ Welche Ideen/Projekte wurden verfolgt und was passiert bei diesen gerade? Grager: „Aus den Thesen heraus haben wir Entwicklungskreise gebildet, in deren Rahmen verschiedene Arbeitsgruppen – aktuell drei – aktiv agieren. Das sind zur Thematik ,Identität gestalten‘ die Gruppen ,Mentoring‘ und ,ÄrztInnen gemeinsam unterwegs‘, und im Hinblick auf einen ganzheitlichen Gesundheitsbegriff die Gruppe ,Soziales Gestalten‘, in der ich aktiv bin. Beim Mentoring geht es darum, dass sich erfahrene ÄrztInnen mit jungen austau- schen und eine gegenseitige Stärkung erfolgt (vgl. hierzu auch den Erfahrungsbericht von Dr. Michael Baier im , Arzt im Ländle ‘ vom April 2018) . Die Gruppe ,ÄrztInnen gemeinsam unterwegs‘ initiiert und organisiert Treffen von ÄrztInnen sowohl aus dem niedergelassenen als auch aus dem Spitalsbereich, die sonst so gut wie nie in einen gemeinsamen Austausch kommen, der über das Fachliche hinausgeht. Dabei werden – und das ist eine kleine Re- volution – Themen und Problemstellungen, die alle angehen, in informellem und angenehmemRahmen gemeinsam durchleuchtet.“ Metzler: „Zentral bei all dem ist, dass es um den Dialog, um den Prozess, um den gemeinsamen Weg geht. Es geht vorerst mehr um spürbare als um sichtbare Ergebnisse. Das erscheint aufs Erste unge- wöhnlich undmacht vielleicht für manche ein Fragezeichen. Das Neue ist, sich Zeit zu nehmen, sich aufeinander einzulassen, ummiteinander ins Gespräch zu kommen, ohne gleich den Druck zu haben, dass dabei was rausschauenmuss.Druck habenÄrztInnen ja sowieso tagtäglich in ihrer Praxis. Damit Neues entsteht, braucht es Zeit und Freiräume. Das Entscheidende ist die Haltung des Spiels und der Ergebnisoffenheit.“ Grager: „Ja, das stimmt. Bei meiner Gruppe ,Soziales Gestal- ten‘ treffen wir uns unregelmäßig mit anderen Gesundheitsberu- fen mit der Fragestellung, wie können wir gut zusammenarbeiten zum Wohle unserer PatientInnen. Es geht um Verbindung und Vernetzungen, die bisher nicht üblich sind. Es ist ein gemeinsamer Weg, den wir begonnen haben, der uns gegenseitig ein Anliegen ist, der aber erst am Anfang steht.“ Wie ist die Stimmung in der Vorarlberger Ärzteschaft aktuell und allgemein? Metzler: „Das Arztsein heute ist aus meiner Sicht geprägt von einem fordernden Alltag, hoher Verantwortung und Belastung, ständigem auf Zeitdruck arbeiten, überhand nehmender Büro- kratie, zunehmenden Bedarfen bei den PatientInnen, was sich u. a. im Anspruch auf Fehlerlosigkeit spiegelt. All das macht viele ÄrztInnen müde und frustriert.“ Grager: „Ich würde auch sagen, es gibt bei vielen das Gefühl, alleine und ohnmächtig zu sein und das Bedürfnis danach, sich zu vernetzen.“ Metzler: „Und es gibt den Wunsch, die Selbstverantwortung der PatientInnen zu stärken. Dies durchaus im Wissen, dass die ÄrztInnen selber auch zu einer gewissen Konsumhaltung beige- tragen haben.“ Hat der Visionsprozess Veränderungen mit sich gebracht? Wenn ja, welche? Metzler: „Die dialogische Haltung und das Bewusstsein für den Prozesscharakter des eingeschlagenen Weges führen zu einem an- deren Zugang – auch bei den leitenden Funktionären in der Kam- mer. Wir machen die Erfahrung, dass wenn wir gesellschaftlich etwas bewegen wollen, wir persönliche, offene Begegnungen und ein gemeinsames Verständnis der Herausforderungen brauchen. Sich als Person mit seinen Stärken und seiner Überforderung zu zeigen, hat eine Kraft, die ansteckend ist.“ Grager: „Besonders die informellen Treffen und Begegnungen bewirken dabei sehr viel. Es gab im vergangenen Jahr im Lebens- raum Bregenz ein ganz besonderes Treffen zwischen den Gynäko- logInnen aus der Praxis, dem Bregenzer Landeskrankenhaus und den Bregenzer HausärztInnen. (s.a. Bericht im ,Arzt im Ländle‘ vom März 2018). “ Metzler: „Sich einfach kennenzulernen, ohne Blick auf den Mangel, sondern auf das, was alles da ist, ist auch zu lernen (lacht). Der Doktor ist meist gewohnt, nur auf die Krankheit zu schauen ...“ Interview mit Dr. Bettina Grager und Mag. Karin Metzler Gemeinsam auf dem Weg Ein Interview zumVisionsprozess der Ärztekammer mit Dr. Bettina Grager (Oberärztin für Psychiatrie am LKH Rankweil, interne Leiterin des Visionsprozesses) und Mag. Karin Metzler (Expertin für Transformations management; strategische Begleitung des Visionsprozesses), geführt und aufgezeichnet von Mag. Brigitta Soraperra. ☞ Mag. Karin Metzler Dr. Bettina Grager
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