AIL November 2018

Er sagt, er sei Allgemeinmediziner aus Leidenschaft, auch nach 29 Jahren mache er seinen Beruf immer noch sehr gerne, und er freue sich nicht, dass er in sieben Jahren vielleicht schon in Pension gehenwerde. Ich binneugierig auf den, der das sagt, und mache mich auf den Weg zu Peter Pircher, einem von drei nie- dergelassenen HausärztInnen und Gemeindearzt in der Markt- gemeinde Frastanz, die knapp 6.500 BewohnerInnen zählt. Mei- ne (selbst gewählte) Mission ist es, den ganz normalen Alltag eines Vorarlberger Landarztes sichtbar zu machen. Dem zu- grunde liegt, dass der Visionsprozess in der Ärztekammer, den ich seit Anfang an dokumentarisch begleite, aufzeigt, wie wich- tig es ist, dass die drei ärztlichen Bereiche Krankenhaus, nieder- gelassene Fachbereiche und Allgemeinmedizin Einblick in den Berufsalltag der anderen haben. Außerdem stellt sich die Fra- ge, warum gerade der Hausarztbereich mit Nachwuchssorgen zu kämpfen hat. Es ist Mittwoch Früh und die Praxis in der Bahnhofstrasse 11 hat zwischen 7.30 und 11 Uhr geöffnet. Bereits um 7.15 Uhr stehen drei PatientInnen vor der Türe. Um 7.28 Uhr öffnet Daniela, Pe- ter Pirchers Sprechstundenhilfe, die Türe, und nimmt sogleich die Daten der Wartenden in ihren PC auf, bevor sie diese um Geduld und ins Wartezimmer bittet. Ich spreche mich mit Peter Pircher kurz ab, wie wir den Vormittag gestalten wollen. Ob ich vielleicht auch bei den Behandlungen anwesend sein könne, fra- ge ich. Das dürfte kein Problem sein, antwortet er, seine Patien- ten seien es gewohnt, dass jemand dabei ist. Peter Pirchers Pra- xis ist, wie ich erfahre, eine von fünf Lehrpraxen, die es in Vor- arlberg gibt. Regelmäßig arbeitet er mit jungen TurnusärztIn- nen zusammen, die das letzte halbe Jahr ihrer Ausbildung bei ihm in der Praxis verbringen. „Die beste Idee überhaupt und ich bin froh, dass ich mich dazu motivieren habe lassen“, wird er mir später noch erzählen. Ich bin gespannt und folge ihm dis- kret mit meinem Notizblock ins angrenzende zweite Behand- lungszimmer. Hallo, wie geht’s? Es ist 7.35 Uhr, ein Mann mit einem großen Kuvert hat dort be- reits Platz genommen. „Hallo, wie geht’s?“ fragt Peter Pircher aufmunternd und streckt ihm die Hand hin. Der ca. 80-Jährige erwidert den Händedruck und klagt über Schmerzen im rechten Bein. Im Kuvert sind Röntgenaufnahmen enthalten, die der Arzt neben seinen Aufzeichnungen im Computer gründlich studiert. Dann untersucht er das Bein, routiniert und schnell. „Kannst du mit den Schmerzen leben, wie sie jetzt sind“, fragt er, „die Röntgenaufnahmen sind zwar nicht gut, aber ich würde mit ei- ner Operation noch zuwarten“. Dann erkundigt er sich mit ei- nem neuerlichen Blick in seinen PC nach den Schmerztabletten, nach den Blutdrucktabletten, und fragt, ob der Mann noch ge- nug davon habe. Man einigt sich, in ein paar Wochen nochmals wegen des Beins zu reden. „Warten wir ab“. Der Mann verab- schiedet sich, Peter Pircher tippt flink alle Informationen in sei- nen Computer: Beschwerden, Untersuchungsergebnis, Behand- lung, verschriebene Medikamente. Nach einem kurzen Blick auf die nächste Krankenakte, wechselt er ins zweite Behandlungs- zimmer, wo eine Frau ihn bereits hustend erwartet. „Immer wieder was Neues“ „Guten Morgen, wie geht’s? Was ist los?“ Auch hier fällt mir das freundschaftliche Verhältnis auf. Man ist per Du, man kennt sich. „Du bist schon länger nicht mehr da gewesen“, bemerkt Peter Pircher und wirft einen Blick auf seinen Bildschirm am Schreib- tisch: „Was macht denn dein Sodbrennen?“. Die ca. 40-jährige Patientin erzählt von ihrem Husten, der sie seit drei Wochen pla- ge, manchmal verbunden mit dem Gefühl zu ersticken. Der Arzt schaut ihr in den Mund, horcht Rücken und Brustraum ab, er- klärt, dass es sich um einen Infekt handle, und erkundigt sich erneut nach dem Magen. „Du bist zwar wegen des Hustens da, aber das andere ist mir fast wichtiger“, sagt der erfahrene Medi- ziner. Er sieht in seinen Unterlagen, dass die Patientin zuletzt vor drei Jahren bei einem Internisten war, es sei an der Zeit, den Ma- gen-Darm-Trakt wieder anzuschauen, findet er. Er schlägt den neuen Spezialisten im Dorf vor – der andere ist in Pension ge- gangen – und die Terminbuchung erledigt er gleich selbst, di- rekt via Computer. „Praktisch, immer was Neues“, meint die Pa- tientin, erleichtert, dass sie sich darum nicht kümmern muss. Dann verschreibt ihr Dr. Pircher noch ein Rezept für Husten- tropfen und bittet sie, den gewünschten Termin für eine Vorsor- geuntersuchung mit Daniela draußen zu vereinbaren. Man ver- abschiedet sich freundlich, noch im Hinausgehen der Patientin tippt der Arzt bereits wieder alles Wichtige in seinen Computer und wechselt sogleich ins andere Behandlungszimmer. „Hallo, was gibt’s denn?“ Ein ruhiger Herbsttag Es sei ein „ruhiger Herbsttag“, sagt mir Peter Pircher nach unge- fähr acht PatientInnen und eineinhalb Stunden, in denen er im- Der Gatekeeper – Ein Blick in den Alltag eines Praktikers beobachtet von Brigitta Soraperra AUS DEM VISIONSPROZESS 10 | ARZT IM LÄNDLE 11-2018

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