AIL November 2018
ne Teil des Dorfes, mit allen Vor- und Nachteilen“. Er versteht seine Profession außerdem als „Gatekeeper“, als erste Ansprech- person für die PatientInnen, mit denen er dann auch das weite- re Vorgehen bespricht, wenn er sie nicht selber behandeln kann. „Mir sind die Patienten am liebsten, die ich ganzheitlich betreu- en kann.“ Arztroutine Die 9-Uhr-Pause geht zu Ende und sie wird auch die einzige Un- terbrechung an diesem Vormittag bleiben. Ich zähle bis 12h30 insgesamt 22 Patientinnen und Patienten, die Peter Pircher per- sönlich untersucht, behandelt, berät. Nicht erwähnt sind hier diejenigen, die parallel von Gabriele und Daniela draußen be- treut wurden. Die Beschwerden reichen von Grippesymptomen, über Magenprobleme und Durchfall, zu chronischen Schmerzen in Schultern, Rücken und Beinen. Mehrere PatientInnen brin- gen Röntgenbilder mit und sind zur Nachuntersuchung und weiteren Beratung nach einer Operation da, einer hat eine offe- ne Wunde am Bein, die der Arzt zügig verarztet, einem anderen wird ein Ohrpfropf entfernt und bei einem jungen Mann führt Peter Pircher eine Ultraschall-Untersuchung durch, um Leber und Galle zu überprüfen. Hinzu kommen heute noch eine Phar- mareferentin und ein Pharmareferent, von denen jeweils drei bis vier im Laufe einer Woche bei ihm auftauchen. Ich frage nach, wie viele Medikamente Peter Pircher denn kenne. Er antwortet: „Ca. 200 aktiv und ca. 1.000 passiv.“ Und wie er sich über neue Produkte erkundige. Er gehe viel und gerne auf Fortbildungen, sagt er. Fortbildungen seien in seinem Beruf sowieso das Um und Auf. „Es ändert sich so vieles und es sind so viele Krankhei- ten, die ich bedenken muss, so viele Fachbereiche, da kann man überall nur ein bisschen reinschmecken, das ist die Herausfor- derung.“ Auch deshalb sei eine ausgewogene Work-Life-Balan- ce wichtig, denn „wenn man zu sehr im Stress ist, hat man dazu keine Zeit und keine Lust mehr.“ Tägliche Herausforderungen Erwähnenswert ist auch, wie eingespielt das Team in der Pra- xis Pircher ist. „Das erleichtert viel“, sagt Peter Pircher. Immer wieder öffnet sich während der Behandlungen die Tür und Ga- briele oder Daniela kommen mit Rezepten herein, die der Arzt alle kurz begutachtet, manchmal kommentiert – „Der sollte auch bald wieder mal zur Untersuchung reinkommen“ –, und unter- schreibt. Auch telefonische Abklärungen und Auskünfte zwi- schendrin gehören zum Tagesgeschäft und immer wieder die stichwortartigen Dokumentationen nach jeder Behandlung. Ja, der bürokratische Aufwand sei schlimmer geworden, gibt Peter Pircher auf meine Nachfrage Auskunft, aber das spiegle unsere Gesellschaft auch allgemein, das sei in jedem Beruf zunehmend. Wichtig sei einfach, dass man sich dadurch im Leben nicht be- einträchtigen ließe. Gleiches gelte übrigens für die Begehrlich- keiten der PatientInnen, die hätten auch zugenommen. Viele kä- men heute mit ganz klaren Forderungen nach bestimmten Ab- klärungen, nach einem besonderen Vorgehen des Arztes, was eine Krankmeldung, oder ein Attest betrifft. Dennoch stellt er klar: „Der mündige Patient ist mir wichtig, es ist gut, dass er sich interessiert und informiert“. Berufsbild Allgemeinmedizin Bevor ich mich verabschiede – mittlerweile ist die Praxis offizi- ell seit über einer Stunde geschlossen – nimmt sich Peter Pircher noch einmal Zeit, um weitere Fragen zu beantworten. Wie sich das Berufsbild im Laufe seines Berufslebens verändert habe, fra- ge ich. „Es hat sich zunehmend zur Vorsorge- und Altersmedizin hin entwickelt“, antwortet er, der sich im Laufe der Jahre auch auf Diabetes spezialisiert hat und Akupunktur als ergänzende Behandlung anbietet. An den Nachmittagen kämen nach wie vor viele Eltern mit ihren kleinen Kindern. Aber wo ein Allgemein- mediziner früher auch für die Schwangerenvorsorge, die medizi- nischen Notfälle und ganz generell für Kindermedizin zuständig gewesen ist, sind es heute vor allem orthopädische Themen, Di- abetes, Bluthochdruck, auch zunehmend psychiatrische Proble- me, die seine Patienten und Patientinnen mitbringen. Erfolgserlebnisse In Kenntnis des Mentoring Programms im Visionsprozess der Ärztekammer erkundige ich mich nun auch nochmals nach sei- nen Erfahrungen mit der Lehrpraxis, die als Modell von der VGAM (Vorarlberger Gesellschaft für Allgemein- und Familien- medizin) entwickelt worden ist. „Das hat mein Berufsleben nur positiv beeinflusst , das ist für mich ein totales Erfolgserlebnis!“, berichtet Peter Pircher begeistert. „Alle halbe Jahre kommt je- mand Neues und die ersten ein zwei Monate sind natürlich ar- beitsaufwendig, weil ich alles erklären muss und vieles überwa- chen. Aber danach kann der andere schon eigenständig vorgehen und wir arbeiten parallel, nehmen uns aber die Zeit, uns abzu- sprechen. Wir berichten einander, was wir gemacht haben, be- sprechen Fälle, es gibt auch Zeit für Fragen.“ Am meisten gefal- le ihm, dass er dadurch Kontakt zu den Jungen habe, sowohl was ihre allgemeinen Lebensthemen anbelange als auch ihre medizi- nische Entwicklung. Und er habe durch sie auch Einblick in die aktuelle Krankenhausarbeit. „Sie wiederum können von meiner Erfahrung profitieren.“ Fragen und Antworten Nach so viel Begeisterung interessieren mich zwei letzte Fragen: Warum denn seiner Meinung nach bei den Jungen die Arbeit in der Allgemeinmedizin wenig attraktiv ist? „Das verstehe ich auch überhaupt nicht“, antwortet er direkt und spontan. „Für mich ist der Beruf total attraktiv. Erstens wegen seiner Vielseitigkeit, zweitens von den medizinischen Herausforderungen her, drit- tens gefallen mir die menschlichen Begegnungen, und auch die finanzielle Abgeltung stimmt.“ Und zu guter Letzt möchte ich wissen, was er sich für sich selber, für seine berufliche Entwick- lung in den nächsten sieben Jahren denn noch alles wünsche. Nach längerem Überlegen sagt Peter Pircher: „Dass es so bleibt, wie es ist.“ Und ergänzt: „Und dass es mir gelingt, sanft „auszu- schleichen“, indem ich z.B. über eine bestimmte Zeit eine Praxis- gemeinschaft habe. Es wäre praktisch, wenn beispielsweise eine junge Ärztin, die vielleicht grad Kinder hat und nur 20% oder 30% einsteigen will, mit mir zusammenarbeitet, und dann ir- gendwann übernimmt.“ Auf der Heimfahrt lasse ich den Vormittag Revue passieren. Meine Vorstellung, dass der Berufsalltag eines praktischen Arz- tes vielgestaltig, hochkomplex und fordernd ist, hat sich abso- lut bewahrheitet. Gleichzeitig bin ich beeindruckt, mit welcher Ruhe, Professionalität und durchaus auch Leichtigkeit Peter Pir- cher diesen Alltag gestaltet. AUS DEM VISIONSPROZESS 12 | ARZT IM LÄNDLE 11-2018
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