AIL März 2019

Der Vorarlberger Konflikt wurde „als Testfall inszeniert“ und durch die staatlichen Instanzen getragen, um das zukünftige Verhältnis zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft in Österreich zu klären. Es blieb aber im Schwebezustand. 11 Neben der Position des freien Arztes, für welche die Vorarlberger Ärzteschaft kämpfte, fand sich als Antwort auf das Krankenkassenwesen innerhalb der österreichischen Ärztevertreter auch eine ganz gegenteilige Haltung. So wurde vom Wiener Ärzteverein die Forderung vorgetragen, den Ärztestand zu verstaatlichen, d. h. die Mediziner zu Beamten zu machen, damit sie eine gesicherte Entlohnung, mehr Autorität und keinen Verteilungskampf mit den Krankenkassen hätten. 12 Dieser Absicht wurde aber weder von staatlicher Seite näher getreten noch fand sie eine Mehrheit in der Ärzteschaft. Dabei hatten die Ärztevertreter die Einführung der verpflichtenden Krankenkassen durchaus begrüßt und mit der Hoffnung verbunden, dass sie ihre Honorare bei armen Leuten nicht mehr selbst einzutreiben und dass die oft aufwändigen Einforderungen bei den kommunalen Armenfonds ein Ende hätten. Zudem hätten nun sozial Schwache, die sich bisher eine ärztliche Betreuung kaum oder gar nicht leisten konnten, als zusätzliche Klientel heranwachsen können. Der „Verein Vorarlberger Ärzte“ sah indenKassen eine„Wohlfahrtseinrichtung für die armen Kranken“ und zugleich „ein Institut, das nicht minder demArzt zugute komme und dessenExistenz erleichtert.“ 13 Bis zur Gründung der Vorarlberger Ärztekammer im Jahr 1894 bestimmte der Ärzteverein die Standespolitik und trat als Sprecher gegenüber den Kassen auf. Als unverrückbare Grundposition für eine Zusammenarbeit wurde den Kassen gegenüber die freie Arztwahl, eine Abrechnung „von Fall zu Fall“ und ein vom Verein festgesetzter Minimaltarif gefordert. 14 Die Kassen ihrerseits versuchten mit einzelnen Ärzten in ein direktes Vertragsverhältnis zu kommen, wie das etwa bei den Bahnärzten schon länger der Fall war. Zumindest sollte in ihrem Verständnis eine eventuelle Erhöhung der Arzthonorare ausverhandelt werden. Als aber im Herbst 1892 die Ärzteschaft die Honorarsätze wiederum eigenmächtig erhöhte, wurde aus dem bereits angespannten Verhältnis ein offener Konflikt. Kampflinien In einer Delegiertenkonferenz aller Ortsgruppen des „Allgemeinen Arbeiter Krankenunterstützungs-Vereins“ und Vertretern weiterer Kassen wehte den Ärzten erstmals ein steifer Wind entgegen: Die Ärztehonorare und die Preise für Medikamente seien seit 1885 „um das fünffache gestiegen“, weshalb die „Krankenkassen in kurzer Zeit dem Bankrott entgegensehen“ müssten. Im Interesse des Gemeinwohls forderten sie deshalb die sofortige Aufhebung des ständischen Zwangs gegenüber vertragsbereiten Ärzten. 15 Gleiches hatten die Vorstände der Kassen-Vorstehungen von Dornbirn und Bregenz bereits wenige Tage zuvor gefordert. In einer schroffen Antwort teilte der Obmann des Ärztevereins, Dr. Max Birnbaumer, den Krankenkassen mit, dass die Mediziner „durch die obligatorisch gewordenen Krankenkassen finanziell gegen früher eingebüßt und nichts gewonnen; gewonnen haben die Arbeiter.“ Zudem drohte er, dass es in absehbarer Zeit zur „Aktivierung einer Vorarlberger Ärztekammer“ komme, welche die Aufgabe habe, „die Interessen des ärztlichen Standes zu wahren, die man vielfach außer Acht lassen zu dürfen sich für berechtigt glaubt. Eine der ersten Aufgaben dieser Kammer wird es sein, daß das Verbot des Ärztevereins, unter die festgesetzte Minimaltaxe zu dispensieren und zu ordinieren oder eine ausschließliche Kassenstelle anzunehmen auf alle Ärzte des Landes ausgedehnt werde.“ 16 In einem internen Sitzungsprotokoll des Ärztevereins wird aber deutlich, dass die kompromisslose Haltung des Vereinsvorstands nicht unumstritten war. 17 Mit der Errichtung der Vorarlberger Ärztekammer wurde 1894 gegen den anfänglichen Widerstand der Innsbrucker Statthalterei ein offizielles Gremium geschaffen, von dem sich die Ärzteschaft eine offizielle standespolitische Stärkung erhoffte. 18 Da die Kammern aber auch dem staatlichen Auftrag, die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu garantieren, gerecht zu werden hatten, untersagte die Statthalterei Innsbruck, die Kammermitglieder auf die Vorgaben des Ärztevereins zu verpflichten. 19 Die Vorarlberger Ärzteschaft verhielt sich aber solidarisch und die Krankenkassen hatten die 1892 beschlossenen Bedingungen unwillig zu akzeptieren. Als aber die Ärztekammer Ende 1896 beschloss, die Tarife für ärztliche Leistungen nach gescheiterten Verhandlungen mit den Krankenkassen ab dem 1. Jänner 1897 anzuheben, wurde aus dem schwelenden Konflikt ein offener Kampf. Während die Kassen im Oberland die Honorarerhöhung hinnahmen, schritten die Krankenversicherungen von Dornbirn und Bregenz zu einer einschneidenden Gegenmaßnahme. Johann G. Luger, dem Kassier und Verhandlungsführer der Dornbirner Kassen, stärkten die Fabrikanten den Rücken, da sie von einer Erhöhung der Versicherungsbeiträge – was bei angehobenen Ärztehonoraren notwendig geworden wäre – ebenso wie die Mitglieder betroffen gewesen wären. Am 23. Februar 1997 wurden in der Landes- Zeitung drei Kassenarztstellen für Dornbirn ausgeschrieben. Als Grundlage für die pauschale Bezahlung der zukünftigen Kassenärzte dienten der Erfahrungen der vorausgegangenen Jahre. „Die Dornbirner Ärzte“, kommentierte Kammerpräsident Dr. Leo Herburger den Affront sarkastisch, „können aus diesem Vorgange wenigstens ersehen, welch hohe Werthschätzung sie bei den maßgebenden Persönlichkeiten genießen.“ 20 Und in einem Zeitungsartikel stellte er fest, dass es keine Probleme zwischen Ärzten und Kassen gäbe, wenn „die großen Betriebsunternehmer, für welche doch dieArbeiter das ganze Jahr arbeiten und verdienen, nur 1 Kreuzer“ beitragen würden. Mit diesem Vorschlag, so Dr. Herburger weiter, hätten „die Ärzte in ein Wespennest gestochen.“ 21 Als Dr. Herburger zudem das Gerücht streute, der Kassenverwalter J. G. Luger wolle bei den Patienten und Ärzten ☞ 11 Margarete Grandner, Regelungen des Gesundheitswesens in Österreich im 19. Jahrhundert. In: Normierte Lebenswelten (= wiener zeitschrift zur geschichte der neuzeit 1/2004), S. 79-99, hier. S. 98. 12 Gerhard Tatra, Der Wandel der sozialpolitischen Rolle der Wiener Ärzte 1848 – 1914. Diss. Wien 2010, S. 134 ff. 13 Vorarlberger Landesarchiv (VLA), Miscellen 1, Ärzte. 14 Leopold Bischof, Geschichtliche Entwicklung der Ärztekammer für Vorarlberg. In: Monfort 3-4/1972, 521-531, hier 522. 15 Schreiben an den Ärzteverein, Hohenems am 18. November 1892; VLA Miscellen 1 Ärzte. 16 Schreiben an den Allgemeinen Arbeiter-Krankenunterstützungsverein, Feldkirch, den 23. Nov. 1892; VLA Miscellen 1 Ärzte. 17 Sitzung vom 4. September (1892) im Hotel Montfort in Bregenz; VLA Miscellen 1 Ärzte. 18 Siehe Zirker (wie Anm. 4), 111. 19 Siehe Bischof (wie Anm. 14) , 522. 20 VLZ 1.3.1897. 21 Vorarlberger Volksblatt (später VV) 29.1.1897. ARZT IM LÄNDLE 03-2019 | 11

RkJQdWJsaXNoZXIy MTY1NjQ=