AIL März 2019
Ein erstes Treffen von drei Ärzte- und drei Kassenvertretern im Beisein des Dornbirner Bürgermeisters zeigte nach wie vor unverrückte Positionen. Am 1. Mai 1901 trafen sich Delegierte von 19 Kassen aus Dornbirn und dem Bezirk Bregenz, um die weitere Vorgangsweise zu beraten. Dabei hielt Dr. Mazer ein vielbeachtetes Referat über die Vor- und Nachteile des pauschalisierten Systems und der freien Arztwahl und erklärte die Vertragsverhältnisse in den anderen Ländern. Die Kassen waren also durchaus daran interessiert, wie das Verhältnis zu den Ärzten andernorts geregelt wurde. Schließlich beschloss dieVersammlung, auf dem „Grund des Pauschalsystems“ mit der Ärztekammer zu verhandeln. 40 Als weitere Grundlage für zukünftigeVerhandlungen präsentierte J. G. Luger eine vergleichende Abrechnung, in der ausgewiesen wurde, dass die Dornbirner Kassen durch die Pauschalierung gegenüber dem von der Ärztekammer 1897 präsentierten Modell in drei Jahren 40.000 Kronen eingespart hätten. 41 Diese Rechnung lehnten die Ärzte als unseriös ab und blieben weiter auf ihrer Argumentationslinie, dass viele Kassenmitglieder mit den Leistungen der Kassenärzte nicht zufrieden seien, dass die Unternehmer den ArbeiterInnen einen freien Arztzugang verstellen wollten und dass die freie Arztwahl ein Grundrecht auch der Arbeiterschaft sein sollte. Die gegenseitigen Vorwürfe, auch Abweisungen von PatientInnen, hielten jedenfalls an. Ein Kassenarzt, der der laufenden Angriffe seiner freien Berufskollegen überdrüssig war, gab die angespannte Stimmung in einem Leserbrief wieder: „Bei der von vielen Herren Ärzten beliebten Kampfesart ist es leider ausgeschlossen, dass die Debatte auch bei prinzipieller Gegnerschaft zwar scharf, aber doch sachgemäß und dem Stande und dem Bildungsgrade würdig abgewickelt wird. Dem außen stehenden Publikum aber das belustigende Schauspiel zu bieten, wie Ärzte sich vor den Gerichten herumraufen, wollen die bösen Kassenärzte denn doch möglichst vermeiden.“ 42 In einer Sitzung von Ärzte- und Kassenvertretern am 25. November 1901 in Bregenzer Hotel l‘Europe konnte eine Einigung darüber erzielt werden, dass die Kassen das Recht ihrer Mitglieder auf freie Arztwahl grundsätzlich akzeptierten, wie aber genau weiter vorgegangen werden sollte, bleib relativ unklar. Als aber im gleichen Monat die Allgemeine Arbeiterkrankenkasse von Bregenz es ablehnte, die durch den Tod von Dr. Sinz vakant gewordene Kassenarztstelle nachzubesetzen, war der Zusammenbruch des Kassenarztsystems eingeleitet. 43 Schließlich einigten sich die Streitparteien auf das Prinzip der freien Arztwahl, auf gemeinsam ausgehandelte Tarife und auf Krankenscheine, die für die Kassen die Diagnose und die folgenden ärztlichen Leistungen transparent machen sollten. Neben den ArbeiterInnen, denen nun eine medizinische Behandlung im Krankheitsfall zuteil wurde, profitierten auch die Ärzte vom verpflichtenden Krankenkassengesetz durch eine vermehrte Klientel und einen erheblichen Machtzuwachs. 44 1902 fand ein heftig geführter Kampf zwischen Kammer und Kassen ein relativ versöhnliches Ende, einige der Akteure trugen jedoch bleibende Blessuren davon. Lesen Sie in der April-Ausgabe den spannenden Weg der Ärzte- kammer zur anerkannten Standesvertretung. Wie Dr. Franz Rhomberg, der „Krawallfranzl“, den Kassenkampf zu seiner Sache macht. Und wie Ärzte Opfer unsäglicher antisemitischer Kampa- gnen im Vorarlberger Alltag sind. Mag. Karin Metzler 40 VV 7.5.1901. 41 VV 4.4.1901. 42 VLZ 28.6.1901. 43 VV 10.12.1901. 44 Vgl. Zirker (wie Anm. 14), 108. Spannende Literaturtipps für Erwachsene und Jugendliche, die die neuere Geschichte Vorarlbergs verstehen wollen Neben zahlreichen anderen Publikationen zur Vorarlberger Landesgeschichte: Menschen In Bewegung. Lebenswege und Zeitläufte. Bregenz 2017 Das Land Vorarlberg 1861 bis 2015. Geschichte Vorarlbergs Bd. 3. Innsbruck 2015 Nationalsozialismus in Vorarlberg.Täter – Opfer – Gegner. Innsbruck 2012 Auswanderer. Von Vorarlberg in die USA 1800-1938. JETZT BESTELLEN! E-Mail: kundenservice@lexisnexis.at | Tel.: +43-1-534 52-0 Versandkostenfreie Lieferung bei Bestellung unter shop.lexisnexis.at Handbuch Ärztliches Berufsrecht Weil Vorsprung entscheidet. Das ärztliche Berufsrecht gehört zum Kernbereich des Medizinrechts. Dieses Werk enthält in der Neuau age die bewährte systematische Gesamtdarstellung und die gesamte maßgebliche Literatur und Judikatur. Der Autor: Hon.-Prof. Dr. Felix Wallner ist Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Oberösterreich, Honorarprofessor für Medizinrecht an der JKU Linz und Autor zahlreicher Fachpublikationen. 2. Au age | Preis € 68,– Wien 2018 | 346 Seiten Best.-Nr. 92034002 ISBN 978-3-7007-6302-4 ARZT IM LÄNDLE 03-2019 | 13
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