AIL April 2019

AUS DEM VISIONSPROZESS Ein Kassenkampf Freie Ärzte gegen sparsame Krankenkassen 1889-1901: Konfliktlinien und Akteure Folgen Sie der Fortsetzung („Arzt im Ländle“ 3/2019) und infor- mieren Sie sich über die Geschichte des Kassenkampfes mit ihren Protagonisten, Problemen und Lösungen. Die spannenden Recher- chen des Kassenkampfes zeigen, welch positive Entwicklung wir als Gesellschaft gemacht haben. Sie zeigen jedoch auch klar, dass vor- gestrige Muster der Problemlösung heute wieder im Trend sind. Dr. Franz Josef Rhomberg – an vorderster Front Keiner seiner Berufskollegen hat sich die Verteidigung des Status des freien Arztes so zu seiner Sache gemacht wie der Dornbir- ner Dr. Franz Rhomberg. Nicht umsonst wählten ihn seine Berufskollegen, die seine Angriffslust nicht immer teilten, im Jahr 1900, am Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Ärzteschaft und Krankenkassen, zum Präsidenten ihrer Stan­ desvertretung. Nach dem Friedensschluss von 1902 hatte der streitbare Mohr seine Schuldigkeit getan und der mildere Dr. Rudolf Michaeler aus Bregenz wurde zum neuen Kammer­ präsidenten gewählt. Neben seiner Praxis, die er 1889 eröffnete, 45 war Dr. Rhomberg auch am Dornbirner Spital als anerkannter Chirurg beschäftigt. Geboren wurde er 1860 In Innsbruck, weil sein Vater, Rudolf Rhomberg, Direktor der Tiroler Werke von Herrburger & Rhom- berg und zugleich deren Teilhaber war. Als Vorstandsmitglied des „Deutschen Wählervereins“ und Präsident der Tiroler Handels- kammer spielte Rudolf Rhomberg im öffentlichen Leben Tirols eine bedeutende Rolle. 46 Franz Rhomberg folgte seiner Schwester Amalie zurück in seine Vaterstadt, nachdem diese 1886 den Dorn- birner Fabrikanten Josef Ignaz Rüsch geheiratet hatte. Als begeis- terter Deutschnationaler war er während des Innsbrucker Studi- ums dem Corps Gothia beigetreten und sorgte bereits im ersten Praxisjahr als antiklerikaler Mediziner für Aufsehen. Im Frühjahr 1890 zeigte er den Oberdorfer Pfarrer Franz Josef Steinhauser we- gen Kindesmisshandlung an. Der Pfarrer wurde daraufhin vom Bezirksgericht verurteilt und demgeschlagenenMädchen Schmer- zensgeld zugesprochen. 47 Im Jahr darauf stand Dr. Rhomberg al- lerdings selbst als Angeklagter vor Gericht. Zusammen mit einigen Gesinnungsgenossen hatte er im September 1891 vor dem Dorn- birner Bahnhof eine Rauferei mit vier katholischen Münchner Studenten angezettelt. Zwei von diesen wurden verletzt und Rhomberg als Rädelsführer zu sechs Wochen Arrest verurteilt. 48 Rhomberg hatte aus seiner Innsbrucker Studentenzeit bereits den Spitznamen „Krawallfranzl“ mitgebracht. 49 Nach der Verurteilung verschrieb er sich aber dem Kassen- kampf und ließ den Straßenkampf. 1894 heiratete er Gisela Schneider, Tochter des Bijouteriefabrikanten Franz Karl Schnei- der, 50 deren Cousin Dr. Arthur Schneider 1897 eine Kassenstelle annahm und damit zu einem der heftigsten Widersacher Rhom- bergs wurde. Die Verflechtungen innerhalb des liberalen Milieus, das sich in der Krankenkassenfrage einer schweren familiären und gesellschaftlichen Zerreißprobe ausgesetzt sah, waren vielfältig. J. G. Luger, der streitbare Geschäftsführer der Dornbirner Kassen, war mit Rhomberg im Turnverein, Rhombergs Schwager Josef Ignaz Rüsch kämpfte ebenso auf Seiten der Kassen wie die Mehr- heit seiner Vereinskollegen im exklusiven Radfahrerverein Dorn- birn. Mit einigen dieser nationalliberalen Honoratioren lieferte sich Dr. Rhomberg über Jahre hinweg einen Kleinkrieg, der schließlich zu einer Entfremdung und Abnabelung von seiner Ge- sinnungsgemeinschaft führte. Als Dr. Rhomberg die Vorgehens- weise der Kassenobmänner bei der Einstellung der drei Kassenärz- te öffentlich als „Fahrlässigkeit“ brandmarkte, wurde er vom Ob- mann des Gesamtcomités, dem Farikanten Eugen Rüf, angezeigt, aber vor Gericht freigesprochen. 51 Doch Dr. Rhomberg blieb auch danach Zielscheibe heftiger Angriffe: Als ein Arbeiter der Firma Winder, deren Geschäftsführer Rüf war, 52 im Spital operiert wer- den musste und Dr. Rhomberg als Assistenzarzt 137 Kronen be- rechnete, verweigerte die Winder‘sche Betriebskasse die Zahlung mit dem Hinweis, man bezahle nicht zwei Operateure. In der folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung unterlag Rüf neuerlich. 53 Nun verlangte er die Summe von der Gemeinde zurück, da sie als Spitalserhalter für die Mehrkosten verant­ wortlich sei. Und tatsächlich refundierte der Armenrat, dessen Vorsitzender Eugen Rüf ebenfalls war, der Firma die Kosten für die Operationsassistenz. 54 Diese ganze Angelegenheit fuße nur auf einer „persönlichen Feindseligkeit gegen den Spitalsarzt Dr. Rhomberg“, schreib ein anonymer Einsender an die Landes­ zeitung. 55 Ein weiterer heftiger Widersacher aus dem eignen poli- tischen Lager erwuchs Dr. Rhomberg imAdvokaten Dr. Franz Fei- erle, dem Rechtsbeistand der Kassen. Als die liberal-deutschnatio- nale Mehrheit imGemeindeausschuss eine zweite Spitalsarztstelle, die mit dem Chirurgen Dr. Rhomberg besetzt werden sollte, bean- 45 Zirker (wie Anm. 14), 162. 46 Innsbrucker Nachrichten 4.1.1886 und 7.1.1886. 47 Landbote für Vorarlberg 6.6.1890. 48 FZ 27.4.1892. 49 Hubert Weitensfelder, „Römlinge“ und „Preußenseuchler“: Konservativ-Christlichsoziale, Liberal-Deutschnationale und der Kulturkampf in Vorarlberg 1860 bis 1914. Wien 2008, 134. 50 StAr Do, Famlienbuch. 51 VV 16.4.1899. 52 Zur Firma Josef Andre Winder und ihrer Miteigentümerfamilie Rüf siehe Richard Eberle, Die Firma Josef Andre Winder in Dornbirn. In: Dornbirner Schriften 39/ 2011. 53 VLZ 26.2.1901. 54 VLZ 18.9.1901. 55 VLZ 18.1.1902. Prof. Meinrad Pichler Der renommierte Historiker hat mit seinen Forschungen und Publikationen einen zentralen Anteil an der Aufarbeitung der Vorarlberger Landesgeschichte Foto: A. Serra 8 | Arzt im Ländle 04-2019

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