AIL Mai 2019
V or allem soll das Berufs- bild des Hausarztes durch die Einführung eines eige- nen Facharztes für Allgemein- und Familienmedizin aufgewertet und anderen EU-Ländern angeglichen werden, erklären Burkhard Walla, Kurienobmann der niedergelasse- nen Ärzte und Thomas Jungblut, Präsident der Vorarlberger Gesell- schaft für Allgemein- und Familien- medizin (VGAM). Was in anderen EU-Ländern seit Jahren selbstverständlich ist, lässt in Österreich noch lange auf sich warten. Unser traditionelles Hausarztsystem ist weit entfernt von einer zeitgemäßen Primär- versorgung, es entspricht weder den veränderten Bedürfnissen der Patienten noch den Vorstellungen der Medizin-Absolventen, kritisiert Thomas Jungblut, der am Master- plan „Allgemein- und Familienme- dizin“ mitgearbeitet hat. Die Zahlen in Vorarlberg spre- chen für sich: Von den 168 Kassen- ärztInnen für Allgemeinmedizin, die in Vorarlberg tätig sind, können 114 Ärztinnen und Ärzte – das sind mehr als zwei Drittel – in den nächs- ten zehn Jahren in Pension gehen, berichtet Ärztekammer-Vizepräsi- dent Burkhard Walla. Positiv wertet Walla die Tatsache, dass es mit ge- meinsamen Maßnahmen gelungen ist, in den letzten Jahren in Vorarl- berg einige neue Kassenstellen zu schaffen und auch wieder Bewerber für Kassenstellen zu finden. Die An- sprüche an die Ärzte sind jedoch weit stärker gestiegen, betont Walla. Die Bevölkerung in Vorarlberg ist in den letzten 10 Jahren von 370.000 auf über 400.000 Einwoh- ner angestiegen, wobei vor allem der Anteil der älteren Menschen im Land deutlich gewachsen ist, wäh- rend sich die Altersgruppen vom Baby bis zu 45 Jahren in Vorarlberg rückläufig entwickeln. Für die Allgemeinmedizin be- deutet dies, dass mit dem Alter der Patienten auch die Anzahl der Diagnosen deutlich ansteigt, au- ßerdem sind die therapeutischen und diagnostischen Möglichkei- ten dank des medizinischen Fort- schritts weit größer geworden. Thomas Jungblut fasst die Folgen dieser Entwicklung in Vorarlberg zusammen: „Die Fallzahlen sind gestiegen, auch die Komplexität der Fälle hat stark zugenommen. Nur die Zahl der Allgemeinmediziner in Vorarlberg ist im Vergleich dazu zurückgeblieben.“ Patienten erwarten Beratung in allen Lebenslagen Auch das Verhalten der Patienten hat sich in den letzten Jahren ge- wandelt, beschreibt Allgemeinärz- tin Gabriele Gort das wachsende Anspruchsdenken: „Viele Patien- ten kommen sehr gut informiert und erwarten eine hohe Effizienz vom Hausarzt: Gleich mehrere Krankheiten und Probleme sollen in kurzer Zeit behandelt und ge- löst werden.“ Allgemeinmediziner werden zunehmend mit komple- xeren Krankheiten konfrontiert, sind Dreh- und Angelpunkt für den Austausch mit Fachärzten und sollten viel Zeit für ihre Patienten aufbringen können. Einerseits wird damit gerechnet, dass Allgemein- mediziner schnell erreichbar sind und rasch Hilfe leisten, andererseits erwarten sich die Patienten Zeit für individuelle Gespräche, berichtet Gabriele Gort aus ihren Erfah- AUS DER KAMMER Ziel: Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin Ärzte fordern Neuausrichtung für Primärversorgung in Vorarlberg Die Entwicklung der Primärversorgung in Vorarlberg ist alarmierend. Immer weniger junge Ärzt innen und Ärzte entscheiden sich für die Allgemeinmedizin, gleichzeitig stehen zwei Drittel der Allgemein-ÄrztInnen in Vorarlberg in den nächsten Jahren vor der Pensionierung. Dazu kommen grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, eine stetig wachsende Bevölkerung und neue medizinische Angebote. Die Allgemeinmediziner in Vorarlberg fordern daher eine Neuausrichtung der Primärversorgung entsprechend demMasterplan für Allgemein- und Familienmedizin. Präsentierten den Masterplan Allgemeinmedizin (v.l.n.r.): Dr. Gabriele Gort, MR Dr. Burkhard Walla, Dr. Thomas Jungblut, Dr. Markus Baldessari, Dr. Susanne Rabady 6 | ARZT IM LÄNDLE 05-2019
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