AIL Mai 2019

te und nun auch mit den Krankenkassen Einvernehmen herstellte, entschieden sich die vereinigten Bregenzer Kassen für die Anstel- lung des Dr. Ignaz Mazer. Dieser war 1860 als Isak Mazer in Lem- berg als Sohn eines Versicherungsagenten geboren, hatte nach dem Oberrealgymnasium in Lemberg in Wien Medizin studiert und 1887 mit dem Doktorat abgeschlossen. 6 Vor seiner Ankunft in Bregenz führte er eine Praxis im niederösterreichischen Retz. 1897 konvertierte er zum Katholizismus und ließ daraufhin seinen Vor- namen behördlich auf Ignaz abändern. 7 Seine Gattin Sophie Rab- ner, ebenfalls aus Lemberg, hatte er 1890 in Teschen (Český Těšín) geheiratet, bevor das junge Paar Richtung Wien weiterzog. 1891 trat Sophie Mazer in Wien aus der jüdischen Kultusgemeinde aus und in die katholische Kirche ein. 8 Am 1. Jänner 1898 eröffnete Dr. Mazer „im Hause der Ge- schwister Dörler“ (Römerstraße 11) seine Bregenzer Praxis. 9 Be- reits einen Monat später eröffnete das katholische Volksblatt ihre antisemitische Campagne gegen den neuen Arzt. „Hier cursiert das Gerücht,“ so das Blatt scheinheilig, „der hiesige Cassenarzt Dr. Mazer sei ein Jude und habe sich erst am 26. Dezember, also un- mittelbar vor der Anstellung taufen lassen. Aufklärung in dieser Sache wäre erwünscht. Von Dornbirn hört man auch oft, die Cas- senärzte seien Juden.“ 10 Damit war Dr. Mazer quasi zur antisemi- tischen Fahndung ausgeschrieben. Und diese lief nun wie am Schnürchen. Mazers Entgegnungen er sei weder Jude noch Protes- tant, sondern Katholik, 11 entgegnete das Volksblatt mit der Ver- dächtigung, sein Glaubensübertritt sei vermutlich „eine Ge- schäftssache“ gewesen und man werde die Angelegenheit weiter im Auge behalten. 12 Tage später erhielt das katholische Blatt ärztli- che Unterstützung: Ein Inhaber des Medicinal-Schematismus teil- te der Zeitung mit, dass Dr. Mazer im Jahr 1897 noch als Arzt in Retz und unter dem Namen Isak Matzer verzeichnet gewesen sei. 13 Damit hatte das Volksblatt seinen antisemitischen Auftrag vorläu- fig erfüllt. Es hatte den Juden enttarnt und markiert und ihn da- mit für die weitere Hatz freigegeben. Die folgenden Demütigun- gen besorgten die deutsch-völkischen Rassisten im Zusammen- spiel mit den beleidigten Ärzten. Seit dem Ende der 1880er Jahre formierten sich in den libera- len Vereinen von Bregenz, allen voran bei den Turnern und Sän- gern, jene jungen Akademiker, die von den Universitäten deutsch- völkisches Gedankengut einschließlich des Rassen-Antisemitis- mus mitgebracht hatten. Bei den Bregenzer Turnern konnten die Altliberalen die Annahme des so genannten Arierparagrafen noch aufschieben, aber nicht mehr verhindern. 14 Noch heftiger gestaltete sich die Auseinandersetzung zwischen alten Liberalen und jungen Deutschvölkischen im Gesangsverein „Liederkranz“. Diese Sänger- runde war der angesehenste Verein von Bregenz. Der gemeinsame Gesang, an dem Fabrikanten und Beamte ebenso teilnahmen wie Handwerker, bildete eine mächtige integrative Klammer für das kleinstädtischen Bürgertum. „Auch hier“, empörte sich ein Korres- pondent der Vorarlberger Landes-Zeitung am 8. November 1889, werde plötzlich „die Fahne des Antisemitismus und des mit ihm verquickten ‚unverfälschten Deutschthums‘ aufgepflanzt.“ Und das ausgerechnet in dem Verein, „der von jeher gewissermaßen als die Verkörperung der richtigen bregenzerischen Gemüthlichkeit, die keine Standes- noch Konfessionsunterschiede kennt,“ gewesen sei. Mit der folgenden Generalversammlung verband der liberale Schreiber die Hoffnung, „daß alle, denen das Gedeihen des Vereins am Herzen liegt, entschiedenen Protest einlegen werden gegen den Terrorismus, der von einzelnen Heißspornen auszuüben versucht wird.“ Tatsächlich konnten die Liberalen und gemäßigten Konser- vativen noch einen „moralischen Erfolg“ verbuchen, indem die Abstimmung ergab, dass für antisemitische Tendenzen, „im Lie- derkranz kein Boden ist und auf lange hinaus keiner sein wird.“ 15 Der nächste Anlassfall zeigte aber das Gegenteil. Als Dr. Mazers Bregenzer Verhandlungs- und Ansprechpart- ner fungierte Gustav Iselin, Obmann der vereinigten Krankenkas- sen von Bregenz und zugleich Fabrikdirektor der Uhrenfabrik Mauthe am Bregenzer Tannenbach. Wie Dr. Mazer war Iselin ein begeisterter Sänger und angesehenes Mitglied des „Liederkranz“. In diesen Chor wurde Dr. Mazer im Herbst 1889 aufgenommen. Doch bereits im Jänner 1899 drängten die inzwischen weiter er- starkten Deutschvölkischen den Vorstand dazu, Dr. Mazer den freiwilligen Austritt nahezulegen. Ansonsten drohten sie mit ei- nem Ausschlussverfahren. Wiederum war es das katholische Volksblatt, das öffentlich verkündete, dass Dr. Mazer, „getaufter Jude“, zum Austritt aus dem Gesangsverein gezwungen worden sei. 16 In einer Einsendung an das freisinnige Bregenzer Tagblatt wurde daraufhin die Berichterstattung des Volksblatt als gehässig bezeichnet und zugleich bemängelt, dass es im Liederkranz offen- sichtlich „keine Männer“ gebe, „die sich getrauen, einem solch un- qualifizierbaren Vorgehen mit nur einiger Energie entgegenzutre- ten.“ 17 Das war das letzte Aufbäumen eines Altliberalen gegen den Antisemitismus des Volksblatts und den Judenhass der Deutsch- völkischen. Das Volksblatt verspottete die Sänger, die wie der Ein- sender aus Protest aus dem „Liederkranz“ ausgetreten waren, als „Judenschutztruppe“ und als „Leiblakeien des Dr. Mazer“. 18 Auch ein für die Verweisung Mazers Mitverantwortlicher, offensichtlich ein Arztkollege, wandte sich an die Öffentlichkeit und wollte den Ausschluss in erster Linie als Resultat des unsolidarischen Verhal- tens des Kassenarztes gesehen wissen. Denn „jede gesellschaftliche Beziehung und Berührung müßte einem Standesgenossen pein- lich sein, seine Selbstachtung schädigen.“ Und „wäre Herr Dr. Ma- zer hierhergekommen unter gleichen Rechten und Ansprüchen, so hätte ihm keiner seiner Kollegen kollegiale Achtung versagt.“ 19 Trotz dieser entwürdigenden Behandlung trat Dr. Mazer Jahre später dem „Liederkranz“ als unterstützendes Mitglied bei. Sein Geld nahm man allemal. Zurückweisungen und Demütigungen hinderten Dr. Mazer auch in der Folgezeit nicht, am öffentlichen Leben aktiv teilzuneh- men. Das dokumentieren seine Mitgliedschaften im Landesmuse- umsverein ab 1907 und im Alpenverein, 20 sowie seine führende Rolle im Verein der Deutschböhmen. 21 ☞ 6 Mitteilung von Barbara Pospichal, Universitätsarchiv Wien, 3.8.2017. 7 Staudacher (wie Anm. 4), S. 403. 8 Ebenda S. 473. 9 Vorarlberger Tagblatt (später VTB) 5.1.1898. 10 VV 1.2.1898. 11 VV 9.2.1898. 12 VV 14.2.1898. 13 VV 17.2.1898. 14 Siehe Hubert Weitensfelder, Bregenz – Liberalismus und Tourismus am Bodensee. In: Peter Urbanitsch/Hannes Steckl (Hg.), Kleinstadtbürgertum in der Habsburgermonarchie 1862-1914, S. 171-216, hier S. 179 f. 15 VLZ 12.11.1889. 16 VV 4.2.1899. 17 Br TB 5.2.1899. 18 VV 8.2.1899. 19 Br TB 8.2.1899. 20 VLZ 25.11.1924. 21 VTB 12.2.1923. ARZT IM LÄNDLE 05-2019 | 9

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