AIL September 2020

gemeinmedizinerinnen und unter- schiedlichen rotierenden Jungärzten für die Innere Abteilung zuständig. Diagnostisch standen uns Rönt- gen, Ultraschall und ein nicht sehr zuverlässiges Labor zur Verfügung. Es gab offiziell zwei Spezialambulan- zen mit den Schwerpunkten Hyper- tonie und Diabetes, wo Patientinnen und Patienten regelmäßig zu Kont- rollen erschienen. Die Dokumentati- on erfolgte über kleine Notizbücher. Bei jeder ambulanten Vorstellung hinterließ man einen Eintrag und hatte somit meist einen relativ guten chronologischen Verlauf zur Verfü- gung. Eine digitale Dokumentation hat sich zu dem Zeitpunkt noch nicht durchgesetzt. Komplexe Fälle konnten grund- sätzlich nach Daressalam (Küsten- stadt, ca. 400 km entfernt) überwie- sen werden. Leider war dies aus fi- nanziellen Gründen selten möglich. Wie sieht die allgemeinemedizini- scheVersorgung indiesemLand aus? Es gibt an sich kein Äquivalent zu unserem Primärversorgungssystem im Sinne einer hausärztlichen Ver- sorgung. Nur wenige Menschen kön- nen sich in der Region eine Kran- kenversicherung leisten und müssen im Spital für jede Einzelleistung se- parat zahlen. Als Folge kommen die Patienten oft erst in fortgeschritte- nen Krankheitsstadien ins Kranken- haus. Schon die Anreise kann da- bei eine große Hürde darstellen. In der Regenzeit zum Beispiel sind die Staubstraßen verschlammt und nur schwer passierbar. Zudem nehmen viele Menschen die Hilfe von traditi- onellen Heilern in Anspruch. Welches waren die häufigsten Krankheitsbilder/-symptome, die du behandeln musstest? Entgegen meiner Erwartungen ha- ben typische Tropenkrankheiten, mit Ausnahme von Malaria, nur einen geringen Teil des Alltags bestimmt. Zum einen scheinen kardiovaskulä- re Erkrankungen aufgrund des sich ändernden Lebensstils auf dem Vor- marsch zu sein, zum anderen fehlen differenzierte Abklärungsmöglich- keiten. Insulte, unkontrollierte Hy- pertonie oder Diabetes sowie respi- ratorische Infekte waren auf der in- neren Abteilung die häufigsten Di- agnosen. Patientinnen und Patien- ten mit HIV oder Tuberkulose wur- den in sämtlichen medizinischen Be- langen konsiliarisch von der exter- nen Versorgungseinheit betreut. Zy- nisch betrachtet, bedeutete dies aus therapeutischer Sicht oft einen Vor- teil. Das HIV- und TBC-Team hatte deutlich bessere Mittel (eigenes La- bor, internationale Standards) zur Verfügung. Ärztekammer Vorarlberg www.arztinvorarlberg.at Der Haupteingang des Saint Francis Referral Hospital, Ifakara. Der Ambulanzbereich mit kleinem Triagetisch im Hintergrund. Wie hast du die Kultur/die Gesellschaft im Land erlebt?*** Die Menschen waren freundlich und offen eingestellt. Unterschiedliche re- ligiöse Gruppen leben friedlich mit- einander. Meine einheimischen Kol- legen waren sehr entgegenkommend und insbesondere die Jungärzte leis- teten großes Engagement bei der Ar- beit. An meiner Abteilung herrschte eine untypische, positive Fehlerkul- tur. Ausbildung wurde groß geschrie- ben. Sonst mangelte es im Kranken- haus oft an Kritikfähigkeit und an der Bereitschaft, alte Strukturen an- zupassen als Preis für ein stark geleb- tes Harmoniebedürfnis. Gibt es einen Patienten, an den du dich besonders erinnerst? Ein ca. dreißigjähriger Patient mit diabetischer Ketoazidose blieb mir besonders im Gedächtnis. Er entwi- ckelte schwere Komplikationen (He- miplegie, Herzinsuffizienz, Koma) wobei die Ursachen mit unseren Mit- teln nicht ergründbar waren. Trotz fehlender Intubationsmöglichkeit und weiterer adäquater Versorgung kam es schlussendlich zu einer Stabi- lisierung. Zwei Monate später stand er erneut mit einer ausgeprägten Zu- ckerentgleisung in der Ambulanz. Er war erstaunlich rüstig für die erhobe- ☞ ARZT IM LÄNDLE 09-2020 | 9

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