AIL Dezember 2020
M illionen von Menschen weltweit sind mit dem Immunschwäche-Virus (HIV) infiziert. Wird dessen Ver- mehrung nicht mit Hilfe von anti- viralen Mitteln eingedämmt, führt eine Infektion nach einiger Zeit zu einer AIDS-Erkrankung. Viele Wis- senschaftler forschen immer noch intensiv nach neuen Angriffspunk- ten des Virus, um effizientere The- rapien zu entwickeln. Die Arbeits- gruppe um Kathrin Breuker vom Institut für Organische Chemie hat nun ein weiteres solches Ziel identi- fiziert. Die Forscherinnen und For- scher konnten einen Mechanismus entschlüsseln, über den das Virus seine Vermehrung in menschlichen Zellen vorantreibt. Zerstörerischen Zyklus unterbrechen Um sich zu vermehren und aus- zubreiten, dringt das HI-Virus in menschliche Zellen ein und baut seine Erbinformation im Zellkern in die DNA ein. Dadurch wird aus der eingebauten Virus-DNA neue Virus-mRNA produziert, die aus dem Zellkern in das Cytosol trans- portiert und dort in virale Protei- ne, die der Virus-Replikation die- nen, umgeschrieben wird. Um die Virus-mRNA schnell aus dem Zell- kern zu lotsen, bringt das Virus ein bestimmtes Protein mit, das rev heißt. Es ist bekannt, dass etwa acht bis zehn solcher rev-Molekü- le an die Virus-RNA binden müs- sen, damit die mRNA schnell den Zellkern verlassen kann. Schon lan- ge beschäftigt die Wissenschaft die Frage, wo genau an der RNA und in welcher Reihenfolge diese rev-Pro- teine anlagern. Denn hier liegt ein möglicher Angriffspunkt für eine gezielte Therapie, um den zerstö- rerischen Zyklus der Virusvermeh- rung zu unterbrechen. Bisher wur- de versucht, mit Hilfe von Kern- spinresonanz-Spektroskopie, Kris- tallographie und biochemischen Experimenten das Rätsel zu lösen. Für die strukturgebenden Metho- den wurden aber modifizierte Mo- leküle verwendet, weil die natürli- chen Moleküle zu dynamisch sind und in den betroffenen Bereichen nicht kristallisieren. „Mit diesen Methoden wurde vor einigen Jah- ren auch eine wichtige Bindungs- stelle entdeckt“, erzählt Kathrin Breuker. Mit ihrem Team hat sie nun eine neue Methode genutzt, um den Replikationsmechanismus des Virus genauer unter die Lupe zu nehmen. Neue Bindungsstelle entdeckt Die Innsbrucker Chemiker*innen haben die natürlichen Moleküle im Labor synthetisch nachgebaut: ein Peptid, das der Bindungsdomäne des rev-Proteins entspricht sowie unterschiedlich lange Segmente HIV: Neuer Mechanismus entdeckt Der Kampf gegen HIV ist auch nach jahrelanger Forschung nicht gewonnen. Ein wichtiger Schritt zur Entwicklung besserer Therapien ist ein gutes Verständnis davon, wie sich das Virus auf molekularer Ebene im Körper vermehrt. Ein Team um Kathrin Breuker hat nun einen Mechanismus entschlüsselt, der für die Vermehrung des Virus zentral ist und ein neues Angriffsziel für eine Therapie bietet. der Virus-mRNA. Deren Interak- tionen beobachteten sie mit Hilfe der Elektrospray-Massenspektro- metrie und Kollisions-aktivierter Dissoziation. „Wir fanden neben RNA mit einem Peptid auch Kom- plexe mit zwei Peptiden. Bei länge- ren RNA-Stücken beobachteten wir auch solche mit fünf Peptiden“, er- zählt Kathrin Breuker, die mit ih- rem Team diese Konstrukte genauer unter die Lupe nahm und eine neue Bindungsstelle entdeckte, die bis- her nicht detektiert werden konnte. „Es handelt sich hier um eine tran- siente Bindungsstelle, die die rev- Proteine einfängt und dann an die bereits bekannten Bindungsstellen weiterreicht und so die Bildung von stabilen RNA-Protein-Komplexen ermöglicht“, erläutert Breuker das überraschende Ergebnis, das nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffent- licht wurde. Dieser Fund ist nicht nur in Hinblick auf eine neue The- rapie interessant, sondern klärt auch viele Forschungsergebnisse, die bisher nicht oder nur teilweise verstanden wurden. Finanziell unterstützt wurden die Forschungen vom österreichi- schen Wissenschaftsfonds FWF und der Forschungsförderungsge- sellschaft FFG. ÄRZTE & ÄRZTINNEN IN VORARLBERG Die offizielle Facebook-Gruppe der Ärzteschaft Vorarlberg! Beitreten und immer auf dem aktuellsten Stand sein! ARZT IM LÄNDLE 12-2020 | 21
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY1NjQ=