Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher
152 153 Ärztekammer für ein heilsames Miteinander Visionen konkretisieren. Visionen realisieren. – Gespräche aus dem Visionsprozess Die Ärztekammer für Vorarlberg befindet sich aktuell in einem Visionsprozess, der vom Wunsch ihrer Mitglieder getragen ist, einen verstärkten Beitrag zu einer finanzierbaren und ganzheitlichen Gesundheitspolitik zu leisten (siehe Artikel zur Visionsklausur in der Ausgabe 01/2016). In der Reihe „Im Gespräch“ kommen monatlich einzelne Teilnehmer/innen des interdisziplinär gestalteten Prozesses zu Wort. Im dritten Teil der Reihe befindet sich der Prozessteilnehmer Dr. Joachim Hechenberger, praktischer Arzt in Hohenems, im Gespräch mit Gabriele Bösch. Dr. Joachim Hechenberger RADIKAL ANDERS DENKEN Frage: Du bist Allgemeinmediziner und nun schon den vierten Tag bei diesem Visi- onsprozess dabei und hast somit alles von Anfang an verfolgt. Stell dir einmal vor, der Landeshauptmann, der Landesgesund- heitsrat, Vertreter der Krankenversiche- rungen und Vertreter der Ärztekammer würden jetzt zusammensitzen und hätten ein offenes, dialogisches Gesprächsklima, wie wir hier auf diesem Visionstag. Was würdest du da gerne deponieren? Dr. Joachim Hechenberger: Ich würde als Erstes deponieren, dass das Arztsein ein unheimlich guter Job ist. Es ist eine sehr herausfordernde Tätigkeit, aber auch sehr essentiell für eine Gesellschaft. Ich würde auch deponieren, dass die Ärzte- kammer mittlerweile ein sehr progressi- ves Gremium ist, und dass sich das in 5 – 10 Jahren allgemein herumgesprochen haben wird. Auch der Patient soll bemer- ken, dass es uns als Ärzte und Ärztinnen, die wir alle in der Ärztekammer vertreten sind, ein wirkliches Anliegen ist, im Sinne der Gesundheitsförderung etwas zu bewegen. Schließlich könnten wir auch selbst einmal Patienten werden. Frage: Mich hat gestern sehr berührt, dass die Frage formuliert wurde: „Wer vertritt den Patienten?“. Ich selbst sitze ja quasi als Patientin in dieser Runde und habe mir eigentlich noch nie konkret überlegt, wer für mich eintritt. Kann die Ärztekammer hier etwas tun, um eine Vertreterfunktion für den Patienten inten- siver zu gestalten? Dr. Joachim Hechenberger: Einerseits sind wir Ärzte natürlich Ärzte und müssen für unseren Berufsstand stehen und uns selbst vertreten. Das ist wohl momentan die Kernaufgabe der Ärztekammer. Unse- ren Wissensvorsprung um Gesundheit und Krankheit zumWohl aller Patienten ständig einzusetzen, ist aber klar unser Auftrag. Trotzdem braucht der Patient meiner Ansicht nach gegenüber der Poli- tik auch eine eigene Patientenvertretung. Diese sollte man stärken und aufbauen. Frage: Wenn du dir das Format ansiehst, wie wir jetzt hier in diesen Tagen mitein- ander kommunizieren, also „Dialog“, mit offenem Herzen sprechen, unvoreinge- nommen Zuhören etc., kannst du dir vor- stellen, solche Kommunikationstechniken auch für dich persönlich mitzunehmen in andere Gruppen, in denen du tätig bist? Dr. Joachim Hechenberger: Damit ein Prozess optimal gelingt, brauchen wir natürlich gute Spielregeln, wie man mit- einander umgeht und kommuniziert. Auch wie gemeinsame gute Entscheidungen getroffen werden, ist wichtig. Wie wir das hier tun, würde ich es mir auch in ande- ren Zusammenhängen wünschen. Diese Form der Kommunikation, der Entschei- dungen, des Zusammenarbeitens ist für viele von uns neu und ungewohnt und braucht anfangs eine Anleitung. Es wird Zeit, dass wir Ärzte miteinander einen kreativen, herzlichen Prozess beginnen. Qualität schaffen wir in Zukunft über das WIR. Frage: Wenn du jetzt einfach einen Wunsch frei hättest für dein Arztsein im beruflichen Alltag, was würdest du dir wünschen? Dr. Joachim Hechenberger: „Das isch a guate Frog“. In erster Linie würde ich mir viel Zeit für die PatientInnen wünschen, weniger Bürokratie und mehr Zeit. Ich wünsche mir auch, dass wir den Gestal- tungfreiraum nützen, den wir haben. Wir sollten es uns erlauben radikal anders zu denken. Nützlich könnte sein, unser Handeln im Bemühen um den Patienten nicht einzeln sondern systemisch zu betrachten, uns sozusagen als Organis- mus zu verstehen. Hierin liegt für mich das größte Potential, unser tägliches Tun qualitativ für den Patienten und zwischen- menschlich für uns auf ein höheres Niveau zu heben. Der Rahmen für ein solches Projekt könnte ein Ärztenetzwerk sein. Frage: Da stehst du wahrscheinlich nicht alleine da. Dr. Joachim Hechenberger: Ja, da hast du Recht. Denkanstöße: Diese Form des Miteinanders ist für viele von uns neu und ungewohnt. - Progres- sives Gremium Ärztekammer – Wir sind gemeinsam Ärztekammer und damit eine wichtige Akteurin in der Gesundheits- politik. - Gemeinsam gute Entscheidungen treffen – Qualität schaffen über das Wir - PatientInnen und ÄrztInnen zusammen in die Zukunft - Weniger Bürokratie, mehr Zeit. Ärztekammer für ein heilsames Miteinander Visionen konkretisieren. Visionen realisieren. – Gespräche aus dem Visionsprozess Die Ärztekammer für Vorarlberg befindet sich aktuell in einem professionell be- gleiteten Visionsprozess, der vom Wunsch ihrer Mitglieder getragen ist, einen verstärkten Beitrag zu einer finanzierbaren und ganzheitlichen Gesundheitspoli- tik zu leisten. In der Reihe „Im Gespräch“ kommen monatlich einzelne Teilnehmer/ innen des interdisziplinär gestalteten Prozesses zu Wort. Im vierten Teil befindet sich Leopold Drexler, homöopathischer Arzt in Feldkirch, im Gespräch mit Gabriele Bösch: Dr. Leopold Drexler ZEIT IST WERT – UND SPART KOSTEN Frage: Im Vergleich zu den anwesenden Kassenvertrags- und Spitalsärzten bist du als homöopathischer Arzt und als Wahl- arzt in einer besonderen beruflichen Posi- tion. Wie siehst du aus deiner Sicht, was hier jetzt in diesen zwei Tagen (gemeint ist die Visionsklausur vom November 2015, Anm.d Red.) geschieht? Dr. Drexler: Uns allen gemeinsam ist: Wir sind Ärzte und wir sind verantwortlich für unsere Patienten. Nur die Struktur ist an- ders. Ich als homöopathischer Arzt habe mehr Zeit und Zeit ist Wert. Zeit ist auch Wertschätzung für den Patienten. Ich kann viel erklären und dabei Ängste weg- nehmen. Ich kann den Patienten auf einen guten, gesunden Weg und zu einer guten Einstellung bringen. Für den Erstkontakt verwende ich meistens eine Stunde, bei der zweiten Konsultation habe ich eine ½ Stunde Zeit. Dieser große Zeitaufwand wird in unserem heutigen medizinischen System aber nicht wertgeschätzt, das heißt, er wird nicht finanziell abgegolten. Das ist insofern bedauerlich, dass allein durch das Zeitwidmen für den Patienten und durch das Wegnehmen von Angst im Gesundheitssystem insgesamt viel Geld eingespart werden könnte, wie wir aus zahlreichen Studien aus dem Ausland wissen. Frage: Wie meinst du das konkret? Dr. Drexler: Ich sehe das z.B. bei Müttern mit Kindern. Wenn man die nötige Zeit hat, kann man gut einschätzen, ob ein Kind wirklich krank ist und was es braucht, und dass nicht sofort reflexartig ein Antibioti- kum eingesetzt wird. Es ist wichtig, dass Mütter wieder Sicherheit bekommen in der Einschätzung der Gesundheit oder Krankheit ihrer Kinder. Dazu gehört nicht nur Wissen, sondern auch die Intuition. Ich versuche diese Intuition, das Vertrau- en auf das eigene Bauchgefühl, bei den Müttern zu fördern. Mütter können sehr gut unterscheiden, ob der Zustand be- drohlich ist oder nicht. Als Ärzte sollten wir jedoch immer für auftretende Fragen erreichbar sein. Frage: Das wurde auch schon in den ersten Visionstagen in ähnlicher Weise formuliert: Wir müssen die Patienten wieder dorthin bringen, dass sie selbst Verantwortung übernehmen können. Da hast du einen wichtigen Posten in dieser Arztlandschaft. Du hast vorher die Angst angesprochen. Glaubst du, dass auch in der Gruppe der hier anwesenden Ärzte eine gewisse Angst besteht, die wir viel- leicht gemeinsam auslöschen können? ››› Im Gespräch Arzt im Ländle 04-2016 Arzt im Ländle 05-2016 Im Gespräch
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTY1NjQ=