Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher

154 155 Denkanstöße: Zeit ist Wert(schätzung) und spart Kosten – Vertrauen in menschliche Intuition fördern – Abkehr von der reinen Absicherungsmedizin – Stärkung der Eigenverantwortung - Neubewertung des Menschen als Ganzes im Mittelpunkt – Ärzte sind Begleiter. Ärztekammer für ein heilsames Miteinander Visionen konkretisieren. Visionen realisieren. – Gespräche aus dem Visionsprozess Die Ärztekammer für Vorarlberg befindet sich in einem Visionsprozess, der vom Wunsch ihrer Mitglieder getragen ist, einen verstärkten Beitrag zu einer finan- zierbaren und ganzheitlichen Gesundheitspolitik zu leisten. In der Reihe „Im Gespräch“ kommen monatlich einzelne Teilnehmer/innen des interdisziplinär ge- stalteten Prozesses zu Wort. Im fünften Teil befindet sich Margret Dünser, Leiterin des psychosozialen Dienstes im KH Dornbirn, im Gespräch mit Mag. Karin Metzler: Margret Dünser Dr. Drexler: Das kann ich so nicht be- antworten. Tatsache ist, dass sich in den letzten 33 Jahren, seit ich ärztlich tätig bin, sehr viel verändert hat. Früher war der Beipacktext eines Medikaments noch sehr kurz. In den letzten Jahren hat sich gesellschaftlich viel geändert, und man arbeitet jetzt viel mehr mit der Angst, was „geschehen kann, wenn du das nicht…“. Ich glaube, wenn wir Ärzte mutiger werden und nicht immer sagen, wir müssen alles absichern, dann könnte das auch dem einen oder anderen Kollegen wieder mehr Mut machen, sich diesem System der Angstmacherei nicht auszuliefern. Ein möglicher Vergleich ist z.B., wenn man ein Auto kauft: Da sagt der Verkäufer auch nicht, was alles beim Autofahren passie- ren kann, dass man in den Graben fahren oder auf einen Baum auffahren kann. Aber wir Ärzte sind quasi verpflichtet, den Pa- tienten immer aufzuklären und das heißt, oft mit Ängsten zu arbeiten und über Nebenwirkungen oder Komplikationen zu sprechen, die insgesamt extrem selten sind. Also vielleicht kann es in Zukunft hier wieder zu mehr Mut und zu einem Um- denken kommen. Frage: Wenn du dir jetzt etwas wünschen dürftest für die Ärztekammer, was wäre das? Dr. Drexler: Für mich ist das ganz klar: Es müsste eine Neubewertung der Wertig- keit des Menschen geben. Das heißt, der Mensch und das, was er an Aufmerksam- keit, Zuwendung und Sicherheit braucht, müsste mehr Platz in unseremmedizini- schen Handeln und im allgemeinen Ver- sicherungssystem haben. Das steht aber momentan in Konkurrenz zur ganzen Medizintechnik, die wir haben. Die ist sicher sinnvoll, wenn sie dort eingesetzt wird, wo es wirklich sein muss, aber nicht im Sinne einer Absicherungsmedizin. Ich muss nicht jedes Kopfweh gleich mit einer Computertomographie abklären, wenn plausible äußere Umstände, wie z.B. Belastungssituationen, die erst im Nach- fragen berichtet werden, im Vordergrund stehen. Heute ist es ja so: Wenn man eine Technik zur Verfügung hat, muss man sie auch einsetzen, sonst rentiert sie sich ja nicht. Und da würde ich jetzt wieder ganz verstärkt den Menschen in den Mittel- punkt stellen: Was braucht der Patient, wer ist er, was hat er für Bedürfnisse, wo steht er und wie kann er gesund werden? Weil gesund werden, muss immer der Mensch selbst. Wir sind als Ärzte immer nur Begleiter. SPRACHROHR FÜR DIE PATIENTEN Frage: Kannst du bitte kurz erzählen, was deine berufliche Rolle ist und was genau du im Gesundheitssystemmachst? Margret Dünser: Vom Grundberuf her bin ich Sozialarbeiterin, seit acht Jahren arbeite ich im Krankenhaus in Dornbirn und bin dort mit der Leitung des psycho- sozialen Dienstes betraut. Dies ist eine spannende Aufgabe, bei der wir in Zusam- menarbeit mit Ärzten und Pflegepersonen die Patienten und Angehörigen vor allem bei Fragen rund um die Entlassung aus dem Krankenhaus in den ambulanten und stationären Bereich beraten und dies bei Bedarf auch organisieren. Bei der Klärung dieser und ähnlicher Fragen erfahren wir von PatientInnen (vielmals sind es ältere Menschen), dass sie oft verunsichert sind. Sie getrauen sich manches Mal nicht den Arzt direkt anzusprechen bzw. nachzu- fragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Manchen Ärzten gelingt es sehr gut auf PatientInnen zuzugehen und mit ihnen ein gutes Gespräch zu führen. Je nach Persönlichkeit des Arztes besteht manchmal jedoch auch eine große Distanz zu den PatientInnen. Nach wie vor gibt es viel Respekt vor den „Göttern in Weiß“. Eine gegenseitige Annäherung in einer re- spektvollen Haltung wäre ein Ziel. Es freut mich auch, wenn sich die Ärztekammer noch mehr für Gesundheitsförderung ein- setzen will und damit ein Zeichen setzt. Frage: Hättest du Ideen, wie man diese Distanz verringern könnte? Margret Dünser: Wir haben in unserer Arbeitsgruppe (im Rahmen der Visions- klausur vom November 2015, Anm.d.Red.) besprochen, dass sich die Ärzteschaft mehr öffnen möchte. Ansätze dazu wären z.B. Informationsveranstaltungen wie das Mini-Med-Studium oder auch Ge- sundheitsförderungstage, die von den ÄrztInnen initiiert werden. Dabei könn- ten sie sich in Verbindung mit anderen Gesundheitsberufen präsentieren, z.B. dem Krankenpflegeverein, den Logo- pädinnen, Physiotherapeutinnen und anderen Berufsgruppen. Alle könnten dann zeigen: Wir arbeiten mit den ande- ren Gesundheitsberufen gut zusammen und stehen den PatientInnen gemeinsam zur Verfügung. Dann würden die Ärzte auch anders erlebt, nicht irgendwo „dort oben“, sondern als Menschen, die man ansprechen kann. Auch Randbereiche der Medizin wie z.B. die Komplementärmedi- zin sind Themen, die den Normalbürger beschäftigen. Ich habe bei onkologischen PatientInnen die Erfahrung gemacht, dass sie ihrem schulmedizinisch tätigen Arzt zwar vertrauen, parallel dazu aber einen Heilpraktiker oder Komplementär- mediziner aufsuchen, welcher zusätzliche Dienstleistungen anbietet. Der mündige Patient möchte bei seiner Gesundung mitarbeiten. Insofern verstehe ich seine Wünsche und motiviere den Patient, dies dem behandelnden Arzt mitzuteilen. Hier wäre ein Potential zur Verbesserung der Kommunikation und Kooperation ge- geben. Frage: Hast du die Erfahrung, dass sich auch Ärzte als Patienten erleben können? Margret Dünser: Das kann ich schwer beantworten. Meine Vermutung ist, dass Ärzte selber eher schwer krank sein kön- nen und nicht oft in Krankenstand gehen. Wird der Arzt zum Patient, befindet er sich vielleicht zum ersten Mal „auf der anderen Seite“. Wie sich Ärzte selber als Patienten erleben, kann ich schwer sagen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass sie – anders als man es vielleicht erwarten könnte – eher nicht sorgsammit der eige- nen Gesundheit umgehen und eher rasch ein Medikament einnehmen um nicht allzu lange auszufallen. Ich höre nicht oft, dass ein Arzt /eine Ärztin im Krankenstand ist. Es ist mir wirklich ein Anliegen, dass ich in diesem Kreis hier Aussagen von Patient- Innen, ihre Sichtweisen und Erlebnisse mit dem Gesundheitssystem einbringen kann. Im Alltag scheint manches Mal eine Kommunikation auf Augenhöre zwischen Arzt und PatientInnen zu fehlen. Mündige PatientInnen haben ein Gespür dafür, was sie bei sich selber wahrnehmen und möchten dies dem Arzt /der Ärztin mittei- len. Ich höre oft, dass Ärzte dies nicht so gerne annehmen. Da wäre es schön, wenn PatientInnen in ihrer Wahrnehmung ernster genommen würden. ››› Im Gespräch Arzt im Ländle 06-2016 Arzt im Ländle 05-2016

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