Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher
156 157 Schwierigkeiten kann es auch in Situa- tionen geben, in denen der Patient nicht sicher ist, welches die beste Vorgangs weise ist. Ich habe selbst erlebt, dass ich – als ich gerade erst nach Dornbirn ge- zogen war und noch keinen Hausarzt hatte – von Arzt zu Arzt fahren musste. Zweimal wurde ich wegen Aufnahmestopp abgewiesen, beim dritten Arzt wurde ich behandelt. Viele Menschen könnten da auf die Idee kommen, gleich in die Kranken- hausambulanz zu gehen, obwohl dies, sofern keine akute Gefahr besteht, unnö- tig ist. Ich denke, dass sich durch eine ge- wisse Aufklärung hier leicht Änderungen im Verhalten der Menschen herbeiführen ließen. Denkanstöße: Distanz zwischen Patienten und „Göttern in Weiß“ durch eine gegenseitige res- pektvolle Haltung verringern – Gesund- heitsförderungstage mit allen Gesund- heitsberufen zusammen: Wir stehen den Patienten gemeinsam für ihre Gesundung zur Verfügung – Zusammenarbeit von Schulmedizin und Komplementärmedizin zumWohle der Patienten – Patienten als mündig wahrnehmen Ärztekammer für ein heilsames Miteinander Visionen konkretisieren. Visionen realisieren. – Gespräche aus dem Visionsprozess Im Gespräch Die Ärztekammer für Vorarlberg befindet sich in einem Visionsprozess, der vom Wunsch ihrer Mitglieder getragen ist, einen verstärkten Beitrag zu einer finanzierbaren und ganzheitlichen Gesundheitspolitik zu leisten. In der Reihe „Im Gespräch“ kommen monatlich einzelne Teilnehmer/innen des interdisziplinär ge- stalteten Prozesses zu Wort. Im sechsten Teil befindet sich Wolfgang Metzler, Internist aus Rankweil mit eige- ner Praxis, im Gespräch mit Mag. Karin Metzler: Dr. Wolfgang Metzler GESUNDHEITSBERUFE INTENSIV EINBINDEN Frage: Du erzählst mir immer wieder von dem Druck, unter dem du während der ganzen Woche stehst. Was macht diesen Druck in deinem beruflichen Alltag aus? Dr. Metzler: Wir erleben heute in der Pra- xis, vor allem in der Kassenpraxis, einen ungeheuerlichen Zeit- und Termindruck. Das hängt mit vielen Unwägbarkeiten im System zusammen. Auch wenn man noch so genau versucht, Termine zu vergeben und einzuhalten, gibt es immer wieder Akutfälle, Zwischenfragen und Probleme, die behandelt und eingeschoben werden müssen. Daraus resultiert dann eine unbefriedigende Situation für den Arzt und für den Patienten. Der Arzt hat nicht genügend Zeit für den Einzelnen und der Patient nimmt das auch so wahr. Er hat dann möglicherweise das Gefühl, dass er schnell abgefertigt wird, obwohl er lange auf einen Termin hat warten müssen. Eine wirkliche Lösung habe ich derzeit dafür nicht. Eigentlich haben wir ja eine sehr hohe Arztdichte in Vorarlberg, auch im internationalen Vergleich, und trotzdem ist offenbar die Begehrlichkeit in der Bevölkerung, den Arzt aufzusuchen und auch mit kleinen Beschwerden wahrge- nommen zu werden, sehr hoch. Frage : Der Druck kommt also daher, dass die Nachfrage sehr angestiegen ist? Dr. Metzler: Ja, das kann ich nur bestäti- gen. Der Patientenansturm ist manchmal kaum zu bewältigen. Vielleicht hat der „medizinische Hausverstand“ in der Be- völkerung abgenommen, die Kompetenz, mit kleineren Problemen selbst zurecht- zukommen. Natürlich wird auch die Bevölkerung immer älter und die medizi- nischen Behandlungsmöglichkeiten haben in vielfältiger Weise zugenommen. Das alles steigert unsere „Fallzahlen“. Frage: Landeszielsteuerungskommission ist meine nächste Frage. Warum glaubst du, dass die ÄrztInnen hier weitestgehend ausgeschlossen wurden? Dr. Metzler: Es ist für uns Ärzte und Ärztinnen sehr schmerzhaft, aus diesem Gremium praktisch komplett ausge- schlossen zu sein. Hier regiert wohl der Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. Aus mei- ner Sicht bleibt die fachliche Kompetenz der Gesundheitsberufe damit außen vor. Die Ursache ist auf politischer Ebene zu suchen. Man wählt den einfacheren Weg, viele Anfragen und Bedenken unserer Berufsgruppe müssen so von vornherein gar nicht gehört werden. Wir sind aber überzeugt, dass das für die Patientenver- sorgung zu Nachteilen führen wird. Frage: Was wären deine konkreten Emp- fehlungen an den Gesundheitsminister oder an den Gesundheitslandesrat? Was könnte die Ärzteschaft zu einer Änderung des Systems beitragen? Dr. Metzler: Wenn man bedenkt, dass wir in Vorarlberg eine der höchsten Ärzte- dichten europaweit haben und diese Ärzte auch tatsächlich so viel in Anspruch genommen werden, dann fragt man sich natürlich, leben wir in so einer krank- machenden Umwelt? Wo liegen die Fakto- ren, dass dieses medizinische System so intensiv genutzt wird? Ich denke, man hat jetzt über Jahre die Menschen mit einer Überladung an Informationen durchaus auch verängstigt und hysterisch gemacht: Wenn es im kleinen Finger kribbelt, könnte es ein Schlaganfall sein. Wenn es in der Brust sticht, kann es ein Herzin- farkt sein. Sofort den Arzt konsultieren, etc. Das hat auf der einen Seite natürlich eine Berechtigung, schießt aber in vielen Fällen über das Ziel hinaus. Es wäre aus ärztlicher Sicht sehr wünschenswert, wenn in der Bevölkerung eine höhere hausmedizinische Kompetenz bestehen würde, um zumindest mit Bagatellepro- blemen selbst zurechtzukommen. Hier könnte man gesundheitspolitisch anset- zen, also die Bevölkerung gut aufklären, bereits im Kindergarten und im Schulalter Maßnahmen setzen, die Mutter wieder als „erste Krankenschwester“ in der Familie gewinnen, etc. Darüber hinaus möchte ich den Politikern ans Herz legen, Ärzte und andere Gesundheitsberufe als Experten nicht aus den Entscheidungsgremien aus- zuschließen, sondern intensiv einzubin- den. Dies kann der Gesundheitspolitik und der Bevölkerung im Allgemeinen nur zum Vorteil reichen. ››› Arzt im Ländle 06-2016 Arzt im Ländle 07-2016
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