Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher
174 175 leistet. Umso berührender für mich als externe Beobachterin die Qualität dieses Tref- fens: Man ist offen, einander zugewandt, neugierig und respektvoll, und ehrlich um ein gemeinsames Nachdenken bemüht, das zu konkreten Bausteinen für ein gutes und leichtes Miteinander im täglichen Arbeitsalltag führen soll. Unterstützt wird dieses kollektive und spielerische Brainstorming durch die Mittel des „Art of Hosting“, der „Kunst des guten Gastgebens“, welche Prozessbegleiterin und Moderatorin Karin Metzler in ihrem organisationsentwicklerischen Werkzeugkoffer mitgebracht hat. Sie gestaltet den Abend gemeinsammit den vier Mitgliedern der Gruppe „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“ als „Falkenhorst-Café“ ausgehend von der partizipativen Methode des „World Café“. Dazu nehmen jeweils 4-5 Personen an kleinen Tischen Platz, bevorzugt in guter Durchmischung der drei ärztlichen Arbeitsfelder, und reflektieren gemeinsam und unhierarchisch vorgegebene Themen. Karin Metzler nennt diese Veranstaltungen „Arbeitsabende der anderen Art“, es gehe darum „gemeinsam zu denken, zu arbeiten und zu feiern“. Die kleinen Ziele des Abends entsprechen dabei durchaus den großen Zielen des gesamten Visionsprozesses in der Ärztekammer. „Für ein heilsames Miteinander“ bedeutet nämlich auch für die Vorarlberger Ärzteschaft als Gemeinschaft: sich verstehen, sich vernetzen, sich unterstützen, Blick und Perspektiven ändern und Felder schaffen für Lösungen und kreative Antworten auf die Herausforde- rungen der Gesundheitspolitik im allgemeinen und der Gesundheitsberufe im besonde- ren - bedingt durch den beschleunigten und rationalisierten Alltag. Bevor es also ans Feiern, an ein liebevolles kleines Buffet, gute Getränke und infor- melle Gespräche geht, wird zusammen „gearbeitet“. Die drei Fragen des Abends, die in je drei Gesprächsrunden mit wechselnden Konstellationen diskutiert werden, lauten: 1. Was geht mir im Kopf herum in der alltäglichen Begegnung mit den Kollegen und Kolle- ginnen? 2. Wie kommen wir in ein leichteres Miteinander, das offen, wertschätzend und anerkennend ist? 3. Was könnten/sollten die weiteren Schritte sein? Als stille Beobachterin freue ich mich über das lebhafte Diskutieren im Dachraum der geschichtsträchtigen Villa Falkenhorst. Ich sehe, dass die junge Assistenzärztin sich genauso einbringt wie der erfahrene Abteilungsleiter. Ich bin berührt, dass der nieder- gelassene Hausarzt seine ungebrochene Begeisterung für seinen Beruf ebenso leiden- schaftlich thematisiert, wie die Last der 120 PatientInnen, die er an manchen Tagen zu behandeln hat. Da ist am einen Tisch die Rede davon, dass es Not tut, das Image der All- gemeinmedizin zu verbessern und am anderen, dass die heutige Absicherungsmedizin einen ungemeinen Druck auf alle erzeugt. Eine Runde formuliert, dass es möglich sein müsste, eigene Schwächen zu thematisieren und sich Zweitmeinungen einholen zu kön- nen, und alle Runden sind sich einig, dass es mehr und vor allem direkte Kommunikation bei den Überweisungen braucht, mit ganz selbstverständlichem Feedback dazu: „Bitte um Rücksprache oder Rückruf“. Da werden Wünsche nach „grenzüberschreitenden“ Aktivitäten wie Schitagen, Wanderungen und Grillabenden formuliert und die Sehnsucht nach interdisziplinären Fachtagen und Fortbildungen. Und immer wieder geht es um Zeit: mehr Zeit für die PatientInnen, mehr Zeit für den direkten Kontakt zu den KollegIn- nen, mehr Zeit für Erholungsphasen. Mehr Zeit führt zu mehr Zufriedenheit im und mit dem Beruf und: zu mehr Qualität in der Arbeit. Eigentlich eine ganz klare Sache, denke ich, und im Stillen rechne ich durch: 8 Stunden durch 120 macht 15 PatientInnen pro Stunde, macht 4 Minuten pro PatientIn! Und selbst bei 10 oder 12 Stunden Arbeitstagen bleiben 5 bzw. 6 Minuten für jede Person, die mit einem eigenen Anliegen in die Praxis kommt ... Nach dem intensiven Austausch in den kleinen Gruppen, der für alle wie im Flug ver- geht, versammeln sich die insgesamt 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einer letzten Arbeitsrunde im Salon im Erdgeschoß. In diesem schönen Raum finden regel- mäßig Hochzeiten und andere Festivitäten statt, heute ist es eine ganz besondere Feier, denn nun geht es ans „Ernten“. Die Essenz einer jeden „Art of hosting“ Veranstaltung ist nämlich die Ernte, das „harvesting good conversations“. „Was nimmst du mit? Was sind Impulse und Inspirationen, die du gerne umsetzen magst?“ fragt Karin Metzler in die Runde, und ergänzt: „Wir nehmen uns Zeit für die Antworten. Wie bei guter Musik lassen wir das, was jemand sagt, auf uns wirken. Und wir bringen nur das zur Sprache, was für uns wirklich wesentlich ist“. Wieder schreibe ich stichwortartig mit und wieder bin ich berührt von der Acht- samkeit, die im Raum liegt, auch wenn die eine oder andere Antwort zum Schmunzeln anregt. „Es ist bereichernd, wenn sich die verschiedenen Disziplinen treffen und nicht hierarchische Strukturen leben“, sagt einer, „aktiv aufeinander Zugehen ist die Devise“ eine andere. „Es lassen sich nie alle Probleme lösen“, findet jemand, „aber mit Kommu- nikation kann man sie immer verbessern“. „Ich nehme mir vor, dass wenn ich Patienten überweise, das nach Möglichkeit telefonisch mache“, sagt eine weitere. „Jetzt, wo man sich gesehen hat, ist das auch einfacher“, formuliert ein anderer. „Ich werde wohl am Mentoring Programm der Ärztekammer teilnehmen müssen“, schmunzelt einer. „Sich gegenseitig ein guter Mentor sein, ist auch eine Möglichkeit“, findet der nächste. „Wir sind es gewohnt, viel Engagement für unsere Patienten aufzubringen, aber es braucht auch Engagement für die Begegnung der Ärzteschaft untereinander“, konstatiert jemand, und „ich nehme mir vor, den Perspektivenwechsel aktiv zu betreiben“, jemand anderes. „Es braucht als Krankenhaus-Arzt mehr Wertschätzung für die Niederge- lassenen“, wird in den Raum gestellt. „Weiter so, Burschen!“ ruft einer der Hausärzte, was nicht nur unter den anwesenden Ärztinnen zu einem lauten Lachen in der Runde führt. Stefanie Urban legt eine konkrete Schiene in die Zukunft. Sie wird dort, wo es bei der Überweisung und Kommunikation holpert, analysieren. Die Lösungen sollten gemeinsam erarbeitet werden. Wie wäre es mit einer Arbeitsgruppe von ÄrztInnen in der Praxis mit ÄrztInnen im Spital? Jedenfalls werden Primar Bach und sein Teammit „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“ unterstützen und dran bleiben. Die GastgeberInnen resümieren: „Damit ist klar, wie es organisch weitergeht. Wir müssen uns selbst den Arbeits-Alltag erleichtern. Das ist der Sinn dieser Abende. Das ist der Sinn der gemeinsamen Auseinandersetzung und Vertiefung“. Zu fortgeschrittener Stunde sind alle heiter und zufrieden mit dem Stück des gemeinsamen Weges, den man gegangen ist, und Barbara Schmidbauer meint, der Abend habe ihr Mut gemacht und sie könne ihre KollegInnen nur ebenfalls ermutigen, selber solche Abende zu initiieren. Wolfgang Metzler, Patrick Clemens, Joachim Hechenberger bekräftigen: „Kolle- ginnen und Kollegen, wenn euch Begegnung wichtig ist, wenn ihr solch einen Abend initiieren möchtet, wendet euch gerne an uns!“ Post Scriptum 1 Barbara Schmidbauer und Stefanie Urban sind nach diesem Treffen aktiv im Entwick- lungskreis „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“ mit dabei! Post Scriptum 2 Mittlerweile hat bereits ein weiterer „Arbeitsabend der anderen Art“ stattgefunden. Am 20. Juni war erstmals die Vollversammlung der ärztlichen Kurien nach St. Arbogast zum besonderen „Mittsommerfest“ eingeladen. Grundlegende Fragen wie „Warum bin ich KammerfunktionärIn geworden?“, „Welche Möglichkeiten sehe ich, ummeine Anliegen zu verwirklichen?“ und „Welche Visionen hätte ich gerne in den nächsten drei Jahren verwirklicht?“ im „Arbogast-Café“ machen neugierig, was - umgeben von prachtvollen Laubbäumen, Vogelgezwitscher und Fliedersträuchen - geerntet worden ist. Eine Initiative im Rahmen des Visionsprozesses der Vorarlberger Ärztekammer Arzt im Ländle 07/08-2018 Arzt im Ländle 07/08-2018
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