Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher
176 177 Für ein heilsames Miteinander Das besondere Mittsommerfest Am 20. Juni trafen sich im Bildungshaus St. Arbogast die Vertreterinnen und Ver- treter der ärztlichen Kurien zu einem „Arbeitsabend der anderen Art“, wie ihn der Visionsprozess der Ärztekammer hervorgebracht hat. Welche Themen dort in persönlicher Atmosphäre besprochen wurden, berichtet Brigitta Soraperra. Aus der Kammer Selbstermächtigung stärken, Ausbildung weiter verbessern, Bürokratie verringern, eine gute Work-Life-Balance schaffen, Respekt voreinander leben, ... sind nur ein paar der wichtigen Anliegen, welche die Ärztinnen und Ärzte am Ende eines inspirierten und äußerst verbindenden Abends als zentrale Bestandteile für ein „heilsames Miteinan- der“ formulierten. Dieses neue Miteinander, das sowohl ÄrztInnen untereinander, als auch ÄrztInnen mit PatientInnen und ÄrztInnen mit anderen Gesundheitsberufen einschließt, ist die große Vision im bereits mehrfach beschriebenen Visionsprozess der Ärztekammer Vorarl- berg. Nachdem die daraus hervorgegangene Gruppe „ÄrztInnen gemeinsam unter- wegs“ bereits in Bregenz und in Thüringen äußerst erfolgreiche Begegnungsabende zwischen Kollegen und Kolleginnen unterschiedlicher Disziplinen und unterschiedlicher Arbeitsfelder (Krankenhaus, freie Praxis) organisiert hatte – vgl. Berichte im „Arzt im Ländle“ Heft 6 und Heft 7, 8 – lud man am 20. Juni ins malerisch gelegene Bildungs- zentrum St. Arbogast, um den Mitgliedern der ärztlichen Kurien zu vermitteln, was bei diesen Abenden jeweils geschieht. „Mir war bei der Einladung schon ein wenig mulmig zumute“, gesteht Patrick Clemens, einer der Initiatoren, „wie schaffen wir es, der Ärzte- kammer-Leitung zu vermitteln, was unsere Initiative so wertvoll macht?“. Vertrauensräume schaffen Im Rahmen der Vorbereitung mit Karin Metzler, Moderatorin des Treffens, entschied sich das Organisationsteam, das persönliche Erleben und die eigenen Erfahrungen ins Zentrum des angekündigten „Mittsommerfests“ zu stellen. Die VertreterInnen der ärzt- lichen Kurien sollten sich - genauso wie ihre KollegInnen bei den Begegnungsabenden zuvor - in wechselnden Arbeitsgruppen mit Fragen auseinandersetzen, die sie tagtäg- lich beschäftigen, für die aber im fordernden Arbeitsalltag keine Zeit bleibt. Und damit es sich weniger wie Arbeit und mehr wie ein spielerisches, gemeinsames Nachdenken anfühlt, wurden erneut Methoden des „Art of Hosting“ gewählt, die bekannt dafür sind, die kollektive Intelligenz der Gruppe wecken und neue Ideen in die Welt bringen zu können. „Es geht darum, einen Vertrauensraum zu schaffen“, begründet Karin Metzler die Wahl der Methoden, „es geht darum, miteinander in die Tiefe gehen zu können, un- abhängig von Geschwindigkeit und Zeitdruck.“ Und die erfahrene Organisationsentwick- lerin führt weiter aus: „Nur so können wir, entsprechend unseren Zielen, eine Verant- wortungsgemeinschaft, eine Solidargemeinschaft werden, die sich gegenseitig stärkt. So können die Ärzte mit Freude und Engagement für ihre Patienten und Patientinnen arbeiten und die aktuellen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik bewältigen.“ Warum bin ich Kammerfunktionär geworden? Der Einladung gefolgt sind dieses Mal nicht ganz so viele Teilnehmende wie bei den anderen Abenden. Dies war aber auch dem Umstand geschuldet, dass sich die Abend- termine für die engagierten ärztlichen Standesvertreterinnen und -vertreter, die auch bei der Jahreshauptversammlung zwei Tage zuvor schon anwesend waren, Ende Juni schlicht häuften. Nichtsdestotrotz fanden sich insgesamt 16 Kammerfunktionäre ein, die sich in wechselnden Dialogrunden darüber austauschten, warum sie sich ursprünglich als Funktionäre und Funktionärinnen aufstellen haben lassen, welche Anliegen sie dabei hatten, welche Ziele sie verfolgten. Aber auch: Welche Ziele sie immer noch verfolgen und welche Visionen sie haben, die es wert sind, in die Wirklichkeit zu kommen. Bei den daraufhin einsetzenden angeregten Gesprächsrunden schnappe ich als stille Beobach- terin eindrückliche Sätze auf: „Als ich als Ärztin nach Vorarlberg gekommen bin, war ich erstaunt, was es hier alles nicht gegeben hat und dass hier nur eher wenig Miteinander gelebt wird. Darum habe ich mir gesagt: Ich will gestalten“, sagt beispielsweise Ruth Krumpholz, Primarärztin und leitende Anästhesistin im LKH Bludenz. Und Thomas Jung- bluth, Allgemeinmediziner in Bregenz spricht aus: „Ich habe eine Wut gehabt, dass die Allgemeinmediziner hier einen niedrigeren Status haben und dass es kaum Nachwuchs in diesem Bereich gibt“, versöhnlich ergänzt er, „seit ich mich engagiere, ist diese Wut weg.“ Ein anderer formuliert es politisch: „Ich habe mir gedacht, wenn wir uns nicht selber vertreten, wer dann? Wir können die Politiker nicht machen lassen, die haben nur Effizienzsteigerung im Kopf.“ Und Bettina Grager, psychiatrische Oberärztin im LKH Rankweil benennt ihre Vision: „Ich wünsche mir mehr ein Gesundheitssystem statt ein Krankensystem und Prävention statt Reparaturmedizin. Es geht um Gesundheitsbildung und darum, die Menschen zu ermächtigen, und dafür möchte ich mich einsetzen.“ Herzblut versus Zeitdruck Im lebendigen Austausch miteinander werden Erinnerungen geweckt, wird erzählt, wa- rumman diesen Beruf ergriffen hat, welches Herzblut dahintersteckt, aber auch welche schwierigen Erfahrungen man tagtäglich macht und wie einsamman damit oft ist. Es werden offen allen bekannte Missstände benannt, bedenkliche Entwicklungen thema- tisiert wie die überhand nehmende Bürokratisierung oder der immer größer werden- de Zeitdruck. Und es wird in allen Gesprächsrunden deutlich, wie gut es tut, darüber sprechen zu können, wie heilsam es ist, wenn die Erfahrungen geteilt werden, und wie kraftvoll und ermutigend es sich anfühlt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Solida- rität und Mitgefühl, Begriffe, die die „Begegnungsabende der anderen Art“ auszeichnen, sind auch in St. Arbogast präsent und lassen die Grenzen zwischen den verschiedenen Fachbereichen und unterschiedlichen Ausbildungsständen schmelzen. Und plötzlich realisiert auch die junge Assistenzärztin, dass sie eine wichtige Stimme ist und dass sie Dinge auch mal kritisch hinterfragen und zusätzliche Ausbildung einfordern kann. Der visionäre Tagesordnungspunkt Am Ende des Abends sind alle Flipcharts voll geschrieben mit Ideen, welche Rahmen- bedingungen es braucht, dass der Arztberuf so gestaltet werden kann, dass er Freude macht und der Gesellschaft dienlich ist. Alle sind sich einig, dass es wichtig ist, Barrieren zwischen den ärztlichen Bereichen abzubauen, sich zu vernetzen und sich gemeinsam zu engagieren, um Partner auf Augenhöhe für die Gesundheitspolitik zu sein. Und dass es enorm wichtig ist, auch die jungen Ärztinnen und Ärzte für die Arbeit in der Kammer zu begeistern. Markus Baldessari, praktischer Arzt in Bregenz und Mitglied der Gruppe ‚ÄrztInnen gemeinsam unterwegs’, formuliert diesen Punkt noch im Hinblick auf eine ganz praktische Seite: „Es liegt auch in der Verantwortung von uns Älteren, die Jungen gut zu schulen, weil die uns ja einmal behandeln werden“. Bevor es dann zum gemüt- lichen Teil des Abends übergeht, bei dem der begnadete Musiker Goran Kovacevic eine Kostprobe seines Könnens geben und die Küche von St. Arbogast mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten auffahren wird, formuliert Wolfgang Metzler, Internist in Rankweil, noch einen besonderen Wunsch in der Abschlussrunde: „Ich wünsche mir, dass Visionen ihren regelmäßigen Platz in der täglichen Kammerarbeit finden. Ich plädiere deshalb für einen visionären Tagesordnungspunkt bei jeder Vollversammlung oder Versamm- lung der Kurien.“ Denken für die Zukunft Präsident Michael Jonas und die beiden Vizepräsidenten Burkhard Walla und Hermann Blaßnig ziehen ein sehr positives Resümee aus dem gelungenen Begegnungsabend und wollen sich dafür einsetzen, Anregungen aus diesem Abend in der täglichen Kammer- arbeit umzusetzen. Die für den Visionsprozess verantwortliche Referentin der Ärzte- kammer Bettina Grager bedankt sich ganz herzlich für die engagierte Teilnahme und das offene, vertrauensvolle „zusammen Denken“. Applaus beendet den offiziellen Teil des Abends. Die Mitglieder der Vollversammlung tauschten sich im Rahmen des Visionsprozesses aus Wer einen „Begegnungsabend der anderen Art“ initiieren und dafür die Unterstützung der Gruppe „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“ holen möchte, wende sich an Patrick Clemens: patrick. clemens@aon.at oder Wolfgang Metzler: wolfgang.metzler@ cable.vol.at Team „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“: Dr. Markus Baldessari Dr. Patrick Clemens Dr. Wolfgang Metzler Dr. Barbara Schmidbauer Dr. Stefanie Urban Eine Initiative im Rahmen des Visionsprozesses der Vorarlberger Ärztekammer Arzt im Ländle 09-2018 Arzt im Ländle 09-2018
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