Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher

180 181 Das Back-Office Bei der kurzen Kaffeepause zwischen 9.05 und 9.15 Uhr – „die muss sein, die gönnen wir uns eigentlich immer, wenn es irgendwie geht“ – treffe ich in der engen Teeküche auf Peter Pirchers Team. Es besteht aus seiner Frau Gabriele, einer ausgebildeten Kranken- schwester, die von Beginn an mit ihm gemeinsam die Praxis betreibt und aus zwei fixen Ordinationsassistentinnen, von denen Simone Hämmerle seit beinahe 20 Jahren bei ihm tätig ist. Heute hat aber Daniela Domig Dienst. Die drei sind ein eingespieltes Team. Während Peter Pircher in seinen beiden Behandlungszimmern die PatientInnen alter- nierend untersucht, übernehmen Gabi und seine Assistentinnen das Back-Office, also die Rezeptverschreibungen, die Überweisungen, die allgemeinen Büroarbeiten, die Be- treuung der Wartenden, aber auch die Langzeitbehandlungen und Kontrollen in den hin- teren beiden Behandlungszimmern, in denen Elektrotherapien, Infusionen, Verbands- wechsel, Blutabnahmen, Urinproben, Messungen von Zuckerwerten u.a. durchgeführt werden. Normalerweise besprechen die drei in der Kaffeepause die aktuellen Fälle, weil aber heute ich da bin, geben sie mir einen kurzen Überblick über ihren Berufsalltag. Ca. 2.000 Patienten und Patientinnen Man habe einen Stamm von ca. 2.000 KernpatientInnen und betreue gemeinsam an „nicht ruhigen Herbsttagen“ durchschnittlich 110 bis 120 Patienten und Patientinnen, wenn die Praxis vormittags und nachmittags offen ist. „Die Anzahl an Patienten ist aber nicht gleichzusetzen damit, wie gestresst man sich fühlt“, sagt Gabriele Pircher. Manche Patienten bräuchten auch eine psychische Betreuung, was einem nahe gehe, andere seien dominant und forderten viel, was einen unter Druck setze. „Man bekommt die Patienten, die man verdient“, merkt Peter Pircher mit einem Augenzwinkern an. Von den täglich in der Praxis vorbeikommenden Personen sieht er jeweils Zweidrittel, die anderen werden von Gabriele und Daniela/Simone betreut. Und an einem Mittwoch wie heute, wo die Praxis nur am Vormittag offen ist, steht für Peter Pircher nach dem Mittagessen der wöchentliche Besuch im Altersheim an, in dem er – wie seine beiden Hausarztkollegen – für je 15 Senioren und Seniorinnen zuständig ist. Danach wird er bis 18 Uhr noch 5-10 Hausbesuche machen. Work-Life-Balance Trotz dieses enormen Pensums sagt Peter Pircher: „Ich habe eine sehr gute Work-Life- Balance.“ Und er sagt auch: „Ich habe das Gefühl, dass ich effektiv arbeite und trotz- dem auf die Patienten eingehe.“ Er erzählt mir von durchschnittlich 7,5 Minuten Zeit pro Patient oder Patientin, die er sich mal ausgerechnet habe. Und er erklärt zu meinem Erstaunen, er habe eine 40-Stunden-Woche. Hinzu kommen allerdings noch drei Nacht- dienste sowie ein fixer Wochenenddienst im Monat. Er finde aber nicht, dass er zu wenig Freizeit habe. Die Situation in Frastanz mit drei PraktikerInnen im Dorf und sieben im Sprengel sei optimal. „Es sind nicht zu viel und nicht zu wenig Ärzte. Alle haben gut zu tun, sind aber nicht überlastet.“ Ausschlaggebend für seine eigene Zufriedenheit im Beruf ist zudem, dass er die Arbeit auch nach drei Jahrzehnten immer noch absolut in- teressant findet. „Für mich ist die Arbeit mit den Patienten sehr befriedigend, vor allem weil ich von den meisten ihre Hintergründe kenne, ihre familiäre Situation, ihre persön- lichen Nöte und privaten Themen.“ Peter Pircher ist heute der einzige der drei prakti- schen Ärzte, der auch seinen Wohnsitz in Frastanz hat. „Ich bin gerne Teil des Dorfes, mit allen Vor- und Nachteilen“. Er versteht seine Profession außerdem als „Gatekeeper“, als erste Ansprechperson für die PatientInnen, mit denen er dann auch das weitere Vor- gehen bespricht, wenn er sie nicht selber behandeln kann. „Mir sind die Patienten am liebsten, die ich ganzheitlich betreuen kann.“ Arztroutine Die 9-Uhr-Pause geht zu Ende und sie wird auch die einzige Unterbrechung an diesem Vormittag bleiben. Ich zähle bis 12h30 insgesamt 22 Patientinnen und Patienten, die Peter Pircher persönlich untersucht, behandelt, berät. Nicht erwähnt sind hier dieje- nigen, die parallel von Gabriele und Daniela draußen betreut wurden. Die Beschwerden reichen von Grippesymptomen, über Magenprobleme und Durchfall, zu chronischen Schmerzen in Schultern, Rücken und Beinen. Mehrere PatientInnen bringen Röntgenbil- Das Praxisteam (von oben nach unten): Dr. Peter Pircher, Gabriele Pircher und Daniela Domig sowie Simone Hämmerle der mit und sind zur Nachuntersuchung und weiteren Beratung nach einer Operation da, einer hat eine offene Wunde am Bein, die der Arzt zügig verarztet, einem anderen wird ein Ohrpfropf entfernt und bei einem jungen Mann führt Peter Pircher eine Ultraschall-Untersuchung durch, um Leber und Galle zu über- prüfen. Hinzu kommen heute noch eine Pharmareferentin und ein Pharmareferent, von denen jeweils drei bis vier im Laufe einer Woche bei ihm auftauchen. Ich frage nach, wie viele Medikamente Peter Pircher denn kenne. Er antwortet: „Ca. 200 aktiv und ca. 1.000 passiv.“ Und wie er sich über neue Produkte erkundige. Er gehe viel und gerne auf Fortbildungen, sagt er. Fortbildungen seien in seinem Beruf sowieso das Um und Auf. „Es ändert sich so vieles und es sind so viele Krankheiten, die ich bedenken muss, so viele Fachbereiche, da kann man überall nur ein bisschen reinschmecken, das ist die Herausforderung.“ Auch deshalb sei eine ausgewogene Work-Life-Balance wichtig, denn „wenn man zu sehr im Stress ist, hat man dazu keine Zeit und keine Lust mehr.“ Tägliche Herausforderungen Erwähnenswert ist auch, wie eingespielt das Team in der Praxis Pircher ist. „Das erleichtert viel“, sagt Peter Pircher. Immer wieder öffnet sich während der Behandlungen die Tür und Gabriele oder Daniela kommen mit Rezepten herein, die der Arzt alle kurz begutachtet, manchmal kommentiert – „Der sollte auch bald wieder mal zur Untersuchung reinkommen“ –, und unterschreibt. Auch telefonische Abklärungen und Auskünfte zwischendrin gehören zum Tagesgeschäft und immer wieder die stichwortartigen Dokumentationen nach jeder Behandlung. Ja, der bürokratische Aufwand sei schlimmer geworden, gibt Peter Pircher auf meine Nachfrage Auskunft, aber das spiegle unsere Gesellschaft auch allgemein, das sei in jedem Beruf zunehmend. Wichtig sei einfach, dass man sich dadurch im Leben nicht beeinträchtigen ließe. Gleiches gelte übrigens für die Begehr- lichkeiten der PatientInnen, die hätten auch zugenommen. Viele kämen heute mit ganz klaren Forderungen nach bestimmten Abklärungen, nach einem besonderen Vorgehen des Arztes, was eine Krankmeldung, oder ein Attest betrifft. Dennoch stellt er klar: „Der mündige Patient ist mir wichtig, es ist gut, dass er sich interessiert und informiert“. Berufsbild Allgemeinmedizin Bevor ich mich verabschiede – mittlerweile ist die Praxis offiziell seit über einer Stunde geschlossen – nimmt sich Peter Pircher noch einmal Zeit, um weitere Fragen zu beantworten. Wie sich das Berufsbild im Laufe seines Berufslebens verändert habe, fra- ge ich. „Es hat sich zunehmend zur Vorsorge- und Altersmedizin hin entwickelt“, antwortet er, der sich im Laufe der Jahre auch auf Diabetes spezialisiert hat und Akupunktur als ergänzende Behandlung anbietet. An den Nachmittagen kämen nach wie vor viele Eltern mit ihren kleinen Kindern. Aber wo ein Allgemeinme- diziner früher auch für die Schwangerenvorsorge, die medizi- nischen Notfälle und ganz generell für Kindermedizin zuständig gewesen ist, sind es heute vor allem orthopädische Themen, Diabetes, Bluthochdruck, auch zunehmend psychiatrische Pro- bleme, die seine Patienten und Patientinnen mitbringen. Arzt im Ländle 11-2018 Arzt im Ländle 11-2018 Erfolgserlebnisse In Kenntnis des Mentoring Programms im Visionsprozess der Ärztekammer erkundige ich mich nun auch nochmals nach sei- nen Erfahrungen mit der Lehrpraxis, die als Modell von der VGAM (Vorarlberger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin) entwickelt worden ist. „Das hat mein Berufsleben nur positiv be- einflusst , das ist für mich ein totales Erfolgserlebnis!“, berichtet Peter Pircher begeistert. „Alle halbe Jahre kommt jemand Neues und die ersten ein zwei Monate sind natürlich arbeitsaufwendig, weil ich alles erklären muss und vieles überwachen. Aber danach kann der andere schon eigenständig vorgehen und wir arbeiten parallel, nehmen uns aber die Zeit, uns abzusprechen. Wir be- richten einander, was wir gemacht haben, besprechen Fälle, es gibt auch Zeit für Fragen.“ Ammeisten gefalle ihm, dass er da- durch Kontakt zu den Jungen habe, sowohl was ihre allgemeinen Lebensthemen anbelange als auch ihre medizinische Entwick- lung. Und er habe durch sie auch Einblick in die aktuelle Kranken- hausarbeit. „Sie wiederum können von meiner Erfahrung profi- tieren.“ Fragen und Antworten Nach so viel Begeisterung interessieren mich zwei letzte Fragen: Warum denn seiner Meinung nach bei den Jungen die Arbeit in der Allgemeinmedizin wenig attraktiv ist? „Das verstehe ich auch überhaupt nicht“, antwortet er direkt und spontan. „Für mich ist der Beruf total attraktiv. Erstens wegen seiner Vielseitigkeit, zweitens von den medizinischen Herausforderungen her, drit- tens gefallen mir die menschlichen Begegnungen, und auch die finanzielle Abgeltung stimmt.“ Und zu guter Letzt möchte ich wissen, was er sich für sich selber, für seine berufliche Entwick- lung in den nächsten sieben Jahren denn noch alles wünsche. Nach längerem Überlegen sagt Peter Pircher: „Dass es so bleibt, wie es ist.“ Und ergänzt: „Und dass es mir gelingt, sanft „auszu- schleichen“, indem ich z.B. über eine bestimmte Zeit eine Praxis- gemeinschaft habe. Es wäre praktisch, wenn beispielsweise eine junge Ärztin, die vielleicht grad Kinder hat und nur 20% oder 30% einsteigen will, mit mir zusammenarbeitet, und dann irgend- wann übernimmt.“ Auf der Heimfahrt lasse ich den Vormittag Revue passieren. Meine Vorstellung, dass der Berufsalltag eines praktischen Arz- tes vielgestaltig, hochkomplex und fordernd ist, hat sich absolut bewahrheitet. Gleichzeitig bin ich beeindruckt, mit welcher Ruhe, Professionalität und durchaus auch Leichtigkeit Peter Pircher diesen Alltag gestaltet. Eine Initiative im Rahmen des Visionsprozesses der Vorarlberger Ärztekammer

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