Für ein heilsames Miteinander - Buch 1: Expedition in neue Felder

172 173 Wohl der Ärzte – es geht um das Wohl beider. Es geht nicht darum, ent- weder gesund oder krank zu sein – es geht darum, ein gutes Leben zu haben. Man kann mit der passenden Versorgung als kranker Mensch ein gutes Leben haben. Man kann aber auch trotz guter Versorgung als gesunder Mensch kein gutes Leben haben. Es gilt, gemeinsam da- für ein Bewusstsein zu entwickeln, dass veränderte Haltungen bereits vieles bewirken. Das ist nicht leicht zu verstehen. Aber wenn wir diesen Weg ernsthaft gehen, dachte ich, dann kommen wir aus unserer Konsu- mentenhaltung heraus, dann werden wir wieder selbstverantwort- licher, und das auf allen Ebenen. Was das für das Gesundheitssystem bedeuten könnte, liegt auf der Hand. So gingen wir auf dieser ersten Tagung vor allem drei Fragen nach: Wie schaut eine zukunftsweisende Standortbestimmung der Ärzte- kammer aus? Warum hat die ÄKVGB einen klaren Auftrag, eine verantwortungsvolle Vorreiterrolle in der Gesundheitspolitik zu übernehmen? Wie stärken wir Freude und Sinn im Arztberuf, wenn wir junge Ärzte / Ärztinnen im Land halten möchten? Wir saßen verteilt an mehreren Tischen im Format des World-Cafés. An jedem Tisch wurde eine Frage behandelt. Regelmäßig wechselten die Teilnehmer die Tische, nur einer, der Gastgeber, blieb sitzen, um den roten Faden zu halten. Antworten und Ideen schrieben wir auf die Tischdecken. Für manche war das ungewohnt, für die meisten witzig. Wie schwierig allerdings diese dialogische Haltung mit der einhergehenden Verlangsamung für Menschen ist, die permanent in Sekundenschnelle Entscheidungen über Leben und Tod im OP zu treffen haben, oder die vierzig, fünfzig oder noch viel mehr Patienten täglich in ihrer Praxis behandeln, war beobachtbar. Wenn Ergebnis- se nicht sofort ablesbar sind, macht das unsicher. Wenn man sich als unter Zeitdruck stehender Einzelkämpfer auf einem weiten, durch das System verlangsamten Feld wiederfindet, macht das vielleicht auch ungläubig. Umso mehr wuchs meine Wertschätzung für all diese Men- schen, als sie sich am Ende dieser Tagung dafür aussprachen, den begonnenen Weg miteinander weiter zu gehen. Zum Abschluss sang jeder seinen eigenen Ton im Plenum – wen wundert es, dass die Töne zusammen einen Klang ergaben? Aus dieser ersten Tagung ergaben sich drei Ausrichtungen auf die Frage, wie es der Ärztekammer gelingt, sich wieder in den Gesund- heitsdialog einzubringen. — — — 1. Die eigene Identität gestalten Dazu gehört u.a. ein Verständnis um das Gemeinsame von niederge- lassenen und angestellten Ärzten zu definieren, um etwaige Brücken zu bauen. Nach innen stark und geschlossen sein, um nach außen eine Stimme zu haben. Die Freude, in Vorarlberg Arzt zu sein, muss hier erweckt werden. 2. Soziales Gestalten Dazu gehört, dass sich die ÄK in den Dienst des Gemeinwohls stellt und auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung schaut. Die notwendige Umkehr zu Selbstverantwortung und Selbstkompetenz statt Konsum- verhalten muss hier durch Aktionen gezündet werden. 3. Politisches Gestalten Dazu gehört, das soziale Gestalten in Strukturen und damit in eine politische Handlung zu bringen. Die Ärztekammer kann Impulsgeber für die zivilgesellschaftliche Bewusstseinsentwicklung sein. All dies habe ich der ausführlichen Dokumentation der ersten Tagung entnommen, die mir zugesandt wurde. Trotz meiner Wert- schätzung für diesen Mut und für das Engagement, für die Selbstkritik und für die empfundene Offenheit, habe ich mich nicht in die Liste der Weiterarbeitenden eingetragen. Ich brauchte Zeit für mich und ich war mir auch nicht sicher, wie hilfreich ich in dieser ersten Visions- runde tatsächlich gewesen war. Dennoch wurde ich gleich von zwei Seiten zur zweiten Tagung eingeladen, diesmal mit einem Auftrag. Ich sollte einen Text verfassen, der meine spezielle Wahrnehmung zu diesem Prozess wiedergibt. Nach langem Abwägen sagte ich zu. Ich traf mich mit dem sogenannten „Ernteteam“, Menschen, die die zweite Tagung protokollieren würden, einmal nach Zahlen, Daten und Fakten, einmal graphisch, einmal filmisch – und in meinem Fall mit einem literarischen Text. Wir besprachen die Planung der Tagung. Als ich dann zu Hause die Dokumentation der ersten Tagung noch einmal durchging, geschah etwas Seltsames. Während ich nach dem Lesen wie immer versuchte, mit verschwimmendem Blick Essen- zen aus dem Text zu heben, begannen einzelne Wörter zu tanzen. Das Ver-rückt-sein schlug wieder zu. Da stand „Ärztekammer“, ich las „Herzkammer“. Auf dem Tisch lagen Samen des Wiesenpippaus, ich betrachtete sie, als hätten sie eine Antwort auf eine gar nicht gestellte Frage. Dann schlug ich das Wort „Heil“ im etymologischen Wörterbuch nach. Im altenglischen und altnordischen sind die Begriffe Heil, Segen und Glück Synonyme. Für mich sind die Wörter jedoch nie gleichbedeutend, jedes einzelne trägt die Geschichte seines Werdens in sich. Mein Blick fiel wieder auf die Dokumentation. Dort stand: „Open your mind, open your heart, open your will“. Öffne deinen Geist, und du wirst Heil erfahren, öffne dein Herz und du wirst Segen erfahren, öffne deinen Willen und du Poetische Dokumentation Poetische Dokumentation

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