Für ein heilsames Miteinander - Buch 1: Expedition in neue Felder
186 187 geworden, doch über den Bergen dort draußen ist ein hellerer Fleck wahrzunehmen. Ich tanke an diesem kleinen Durchblick und schwenke meinen Blick auf Erwin Mohr. Er ist etwas kleiner als Leonard Clemens. Sein Beamer ist ein simpler Zettel. Ich muss nicht schauen, denke ich, und bin dankbar. Er kenne die Finanzströme im Gesundheitswesen sehr genau, sagt er, und dass sie eine wilde Grafik ergäben. Man könne über- haupt meinen, dass unser Gesundheitssystem eine einzige Baustelle sei. Da ist es wieder, das Wort, das wir hier im Lande so oft ge- brauchen. Baustelle. Es bedeutet doch nur, dass etwas gebaut wird. Wir können zusehen, wie ein Haus, ein Bahnhof, eine Straße entsteht. Tausende Hände werkeln. Die interessanten Fragen sind jedoch, wer hat wie geplant und aufgrund von welchen Unterlagen, Erkenntnissen und auch Modeströmungen? Wie verlaufen die Entscheidungsfindun- gen? Wer und wie viele entscheiden? Und wie gut ist der Polier? Sol- che Fragen werden zu oft erst hinterher gestellt, wenn die Geldflüsse bereits versiegt und versiegelt sind. Wenn die Schulden dafür der Allgemeinheit angelastet werden. Das ist vermutlich auch Erwin Mohr bewusst, denn er möchte sich in seinem Impulsreferat auf mehr posi- tive Fakten beziehen. Bald stünde wieder ein Jahreswechsel an, sagt er, die Zeit der guten Wünsche. Was aber wünschen sich Menschen? An erster Stelle stehe die Gesundheit, an zweiter die Sicherheit. In einer Wertschätzungsskala stünde der Arzt an erster Stelle, Einrichtungen wie die Feuerwehr z.B. an zweiter. Vor allem die Hausärzte fänden die größte Zustimmung in der Bevölkerung, weil sie am nächsten bei den Menschen seien (auf politischer Ebene würde das dem Bürgermeister entsprechen). Wenn kein Vertrauen mehr da sei, gehe nichts mehr wei- ter – auf gesundheitlicher wie auch auf politischer Ebene. Gesundheit sei nationale Kompetenz. In Dänemark z.B. sei der niedergelassene Arzt an oberster Stelle in der Wertschätzung. Und das sei auch hier langsam zu erkennen: Wenn einem Lokalpolitiker der Gemeindearzt, die Ge- meindeärztin abhandenkäme, geriete er unter Druck. Die Kommunen würden sich sehr anstrengen, aber mit einem zusätzlichen Jagdrecht würde man keine Ärzte mehr locken. Ein Gelächter geht wie eine plötz- liche Böe durch den Raum. Eine Totgeburt erleben und dann ein Rehkitz erschießen? Ein mitternächtlicher Arztbesuch bei einer alten Dame mit Demenz und dann zielen und abdrücken? Jagdrecht für einen Arzt? Ja, imWalsertal sei das der Fall gewesen. Aber die Zeiten haben sich verändert. In der Schweiz gäbe es bereits den Begriff der „unwerten Lebensräume“. Wenn der Arzt im ländlichen Raum geht, wenn seine Stelle nicht nach zu besetzen sei, dann wandern die Menschen ab. In Oberösterreich seien solche Situationen schon eingetreten, nach der Abwanderung könne man die „Häuser verschenken“. Erwin Mohr verweist auf den Prozess Vision Rheintal, der vor 12 Jahren begonnen hatte und vor allem von Männern getragen gewesen sei, der Frauenanteil sei nur etwa bei 10% gelegen. Diese Männer seien Er ist in Bregenz aufgewachsen und hat an der ETH Zürich studiert. Er ist strategischer Unternehmensberater und kauft als solcher auch Firmen, verbessert sie und verkauft sie wieder. Er sei jedoch kein Richard Gere, höre ich ihn sagen. Da schaue ich von meinen Notizen auf. Eine Stimme in mir will ihm widersprechen, rein „anschauungs- mäßig“ muss er sich neben dem Gere aus Pretty Woman nicht ver- stecken. Er aber hatte sich auf die Heuschreckendebatte bezogen. An diesem Abend geht es allerdings nicht um seine Erfolge, sondern um seine Erfahrungen mit Mentoring. Er war selber Mentee wurde später Mentor. Als Mentee wurde ihm einerseits ein Colleague, ein Mitarbeiter der erst ein halbes Jahr vor ihm angefangen hatte, an die Seite gestellt, andererseits aber auch ein Mentor, der schon vier bis sechs Jahre tätig war. Dieses gemixte Mentoring-Modell war in ihrer Firma institutionali- siert – und zwar auf ehrenamtlicher Basis. Wenn ein neuer Mitarbeiter (der Mentee) ein Problem hat, ist die erste Intervention der Gang zum Mentor. Der gibt ihm Ad-hoc-Unterstützung, hilft ihm bei der Weiter- entwicklung der eigenen Kompetenz und fördert seine Karriere. Die Aufrechterhaltung dieser Mentee-Mentor-Institution führt zu großer Nachhaltigkeit, der Mentee wird sogar beim Austritt aus der Firma Unterstützung erhalten. Für den Mentor gilt: Sei immer auf der Seite des Mentees (nicht auf jener der Firma), sei vertrauenswürdig (be- handle alle Gespräche vertraulich) und sei engagiert (hilf dem Mentee, Probleme zu lösen). Die Treffen zwischen Mentee und Mentor finden regelmäßig statt. Der Mentor benutzt eine wenig verordnende Spra- che (was ist deine Sicht), er weiß, wie man gutes Feedback gibt (keine Beurteilungen, konkret), und er hat immer zwei Hüte auf (Firma und Mentee). Wie klug denke ich, und dass der schönste Satz aus Pretty Wo- man schon ganz am Anfang in der Lotus-Szene fällt: Schönen Gruß ans Getriebe! Wer nur Automatik fährt, hat kein Gefühl für die H-Schaltung. H für Herzlichkeit. H für Hochachtung. Eigentlich seltsam, dass nie eine Fortsetzung dieses Films geplant war. Hansjörg hat Leonard für alle Fälle in seine Kamera gebannt. Und Karin Metzler erinnert uns daran, Verbindungen ins eigene Leben zu ziehen. Pretty woman look my way. Pretty woman say you´ll stay with me. Cause I need you, I´ll treat you right. Ein Bürgermeister muss darauf schauen, dass es den Frauen in seiner Gemeinde gut geht. Irgendwann, irgendwo hatte ich diesen Satz von Erwin Mohr gelesen, seine persönliche Übersetzung von Schönen Gruß ans Getriebe! 24 Jahre war er Bürgermeister von Wolfurt gewe- sen, ist jetzt Präsident der Seniorenplattform Bodensee und Delegier- ter der Regionen des Bundesministeriums in der EU. Er wird zum The- ma „Netzwerken“ sprechen. In seiner Begrüßung bezeichnet er uns als illustren Kreis . Da ist es wieder, das Licht. Doch unser Licht scheint für ihn nicht durch Querlatten gefiltert zu sein, wir scheinen ungebrochen zu scheinen. Für einen Moment schaue ich nach vorne. Es ist dunkel Poetische Dokumentation Poetische Dokumentation
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