Für ein heilsames Miteinander - Buch 1: Expedition in neue Felder
192 193 In einer Pause erzählt mir einer der niedergelassenen Ärzte, dass er für einen Patienten einen Termin im Krankenhaus wollte. Er sprach mit einer Oberärztin. Erklärte alles. Doch die Oberärztin meinte nur, das sei kein Fall fürs Spital. Er rief noch einmal an, verlangte den Primarius. Der verstand einfach seine Sprache, sein Anliegen, weil er wusste, wie der Arzt denkt, wie er sich sorgt, wofür er und seine Arbeit stehen. Er bekam den Termin. Wenn wir uns nicht zeigen, werden wir nicht er- kannt. Mitunter hängt vielleicht ein Leben an dieser Tatsache. Harald Schlocker und Joachim Hechenberger sind dieses Jahr nach Graz gefahren, um sich über das steirische Netzwerk Styria med zu informieren. Im steirischen Netzwerk sind 10 regionale Bünde, 340 Ordinationen, 2/3 aller AllgemeinmedizinerInnen und 15 Spitäler mit- einander verknüpft. Dieses Modell stellt den Hausarzt als Koordinator in den Mittelpunkt. Kernthema bleibt immer: Was braucht der Patient, damit es ihm gut geht? Und was brauchen wir Ärzte, damit es uns gut geht? Teil dieses Netzwerkes zu sein, geschieht auf freiwilliger Basis, die Netzwerktreffen sind allerdings verbindlich. Es gibt mehrere Säulen, auf die dieses Netzwerk gestellt ist: 1 Hausarztabfrage. Der Arztbrief geht immer an den Hausarzt. 2 Überweisungstriage. Rot muss sofort behandelt werden, orange innert einer Woche. 3 Hotline. Alle niedergelassenen Ärzte stellen ihre Telefon- nummer ins Intranet. Es gibt somit direktes Telefon zwischen Spitalsarzt und Hausarzt. 4 Homepage. Extranet. Ist Servicestelle für Patienten. Styria med strebt auch eine Vernetzung mit allen anderen Gesundheits- berufen an. Unterstützt wird es finanziell auch durch die Kammer. Von der Netzwerkarbeit profitieren alle, weil die Behandlungskette für den Patienten optimiert werden kann. Man betrachtet nicht länger einzelne Knochen oder Muskeln, sondern schaut systemisch. Wolfgang und Patrick berichten, dass sie mit diesen Impulsen Styria med überdacht hätten mit der Frage, ob dieses Modell sich so einfach über Vorarlberg stülpen lassen würde. Patrick als Spitalsarzt spricht die Freude an: Wenn er mit dem Arzt, der gerade eine Gastroskopie durchgeführt hat, Mittag essen ginge und sich dabei über den Patienten unterhalten könne, würde ihm das Freu- de machen. Er könne sich ein Mittagessen auch als Struktur vorstellen: Alltag und Glücklichsein stärken. Er würde auch gerne die Internisten in die Strahlentherapie einladen oder auch selbst als Spitalsarzt einmal die Hausärzte besuchen. Es taucht die Frage auf, wieviel Struktur es überhaupt braucht und ob ein Ärztenetzwerk ein probates Mittel sei, um auf die Innere Versöh- nung hinzuarbeiten. bedankt und betankt nach Hause gehen. Wie ein kleines Stück Himmel mich sicher leitet, denke ich am nächsten Morgen, als ich wieder meinen Platz einnehme und hinaus- schaue. Als ob die Töne aus diesem kleinen Eck Himmel fallen würden, spielt Wolfgang Metzler auf seinem Saxophon. Unser angehaltener Atem ist Raum für seine Melodie. Ich höre nicht mit den Ohren. Ich höre mit allem, was ich bin. Still. Ich bin voller Dankbarkeit, dass ein Arzt sich hier auf derart persönliche Weise auf uns einlässt. Dass er uns einlässt. In einen neuen, sonnigen Tag. Wie fokussieren wir Aufmerksamkeit, fragt Karin Metzler, die Prozessbegleiterin. Wie fokussieren wir gemeinsam Aufmerksamkeit, damit die ÄKVBG eine lernende Organisation wird, ihre Spielregeln, Kommunikations- und Organisationsmuster verändern kann? Jeder von uns sei verantwortlich für das Ergebnis. Jeder von uns ist Teilge- ber. Zum Einstieg spielen uns Wolfgang, Joachim und Patrick einen Sketch zum Thema „Innere Versöhnung“ vor. Praxisalltag, so der Titel. Dr. Blechenberger (Allgemeinmediziner), Dr. Metzger (Facharzt) und Dr. Clanman (Spitalsarzt) besitzen jeweils ein Telefon, aber sie erreichen sich gegenseitig nicht. „Wir als Fachärzte sind die eigentliche tragende Säule“, schimpft Dr. Metzger, der vermutet, der Blechenberger sei wie- der einmal am Golfen. Was der ihm alles schicke! Dr. Clanman schickt seine Patienten zum Hausarzt zurück, auch für ihn ist der Allgemeinmediziner nicht zu erreichen. Ja, Himmel! Währenddessen fragt Dr. Blechenberger, zugedeckt mit Arbeit, plötz- lich einen Patienten: „Herr Maier, weshalb krabbeln sie hier auf dem Bo- den herum?“ Sogar die Geste, die er macht, als Dr. Metzger bei ihm Golf diagnostiziert, sieht müde aus. So kann es nicht weitergehen, beschlie- ßen die drei. Sie müssten sich mehr vernetzen, einander überhaupt kennenlernen. Kurzerhand entstöpseln sie ihre Telefone und binden die Kabel zusammen. Wessen Gesicht ich kenne, den kann ich leichter an- sprechen, auch am Telefon. Aber zuerst muss man sich treffen. Später stelle ich fest, dass die drei Ärzte diesen Sketch nie geprobt haben. Sie haben sich nicht einmal abgesprochen. Sie haben nur gewusst, dass Wolfgang drei Telefone mitbringt. Der ganze Sketch war spontan entstanden und gespielt. Und doch haben sie mit wenigen Worten die tiefsten Gräben bezeichnet. Wir allerdings lachten. Doch wir sitzen alle im selben Boot. Lust und Frust hängen im Alltag eines Arztes, einer Ärztin, oft davon ab, wie es dem einzelnen Patienten geht. Emotionen sind manchmal mühsam, sie können direkten Einfluss auf die Patienten nehmen, wenn Ärzte nicht klug vernetzt sind. Die systemische Zusammenarbeit, das systemische Handeln würde eine Menge an Zeit und Ressourcen sparen (simples Beispiel: Blutabnahme). Poetische Dokumentation Poetische Dokumentation
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