Für ein heilsames Miteinander - Buch 1: Expedition in neue Felder

204 205 Konflikte entstehen, wenn auf Unsicherheiten mit strategischem "Rechthaben" reagiert wird, weil es natürlich auf allen Seiten unter- schiedliche Annahmen und Vorstellungen gibt. Deshalb ist es wichtig, sich in den Dienst der Sache zu stellen und die Dialogfähigkeit im Kern- team zu behalten – was im Übrigen bei der ÄKVBG sehr gut gelingt. Die größte Herausforderung ist aber die Geduld. Ein Visionsprozess tickt anders als ein Knochenbruch. Optimal wäre, wenn wir das Vor- gehen der Notfallmedizin auf den Prozess übertragen könnten: Jede/r weiß, was zu tun ist. Wir glauben zu wissen, wie Zusammenarbeit geht. In Wirklichkeit müssen wir aber alle Ko-Kreation erst lernen. Das erfordert viel Demut, und die Bereitschaft, das eigene Ego hinten an zu stellen. Frage : Wie geht es nun weiter? Was sind die nächsten Schritte? Karin Metzler : Im Oktober, bei der nächsten großen Klausurtagung, werden die ersten Ergebnisse aus den Entwicklungskreisen „Innere Versöhnung“ und „Mentoring“ gezeigt. Es geht nun um konstruktives Feedback, Offenheit und den lebendigen Austausch von allen Teilneh- merInnen. Gemeinsam werden Abstimmungen, Feinjustierungen und die Planung der nächsten Schritte erfolgen. Wichtig dabei ist aber: Ein Prozess ist kein Machen! Umsetzen kann man eine Pflanze, einen tech- nischen Plan, jedoch keinen Prozess. Erfolgsentscheidend wird sein, ob ein gemeinsamer Sinn entsteht, der über individuelle Interessen hinausgeht. Dann gehen Menschen einen Weg miteinander, dann weiss jede/r, was als nächstes zu tun ist, weil eine Dynamik entsteht, die das in die Welt bringt, was Not tut. Eingeladen sind wieder ÄrztInnen und Menschen aus den unterschiedlichsten Verantwortungsfeldern, damit sich das „system in the field“ spiegelt. Frage : Wo sehen Sie die Ärztekammer in 10 Jahren? Karin Metzler : Meine persönliche Vision für die Gesundheitspolitik ist: Die ÄKVBG gilt als Vorreiterin für eine praktizierte interdisziplinäre Kammer-zusammen-Arbeit. Die Region Bodensee ist europaweit Vor- bild für ganzheitliche Gesundheit. Die ÄKVBG ist dabei Motor für neue Entwicklungen. Frau Mag. Metzler, herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch! die pflegenden Berufe, dort ist der Patient, dort ist die Politik, da die Wirtschaft, da ist die Kunst, dort das Soziale ... Das große Ziel ist, die Fragmentierungen zu überwinden und die Interessensgruppierungen zu verbinden. Somit können das Wir-Gefühl, die Selbstverantwortung und das Vertrauen gestärkt werden. Frage : Was ist in den vergangenen eineinhalb Jahren alles passiert, wo steht der Prozess im Moment und sehen Sie erste Ergebnisse? Karin Metzler : Dieser Visionsprozess ist für viele TeilnehmerInnen eine Rückbesinnung darauf, warum sie diesen Beruf gewählt haben und wofür sie sich mit Leidenschaft einsetzen wollen, auch wenn die Rahmenbedingungen in der Praxis oder in der Klinik dem oft zuwider- laufen. Der Prozess zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Politik Men- schen braucht, die sich in den Dienst stellen, um die gesundheitlichen Herausforderungen zu lösen. Konkret bedeutet das, dass sich vier Arbeitsgruppen - wir nennen sie im Sinne des Entwicklungspotentials „Entwicklungskreise“ - zusammengefunden haben, die nun zu den re- levanten Fragestellungen arbeiten. Zwei Entwicklungskreise befassen sich mit der „Versöhnung nach Innen“, d.h. mit einer Verbesserung der Kommunikation und der Vernetzung der ÄrztInnen, um untereinander und für die PatientInnen Brücken zu bauen. Im Entwicklungskreis „Mentoring“ geht es u. a. darum, wie ÄrztInnen sich gegenseitig unter- stützen können, und wie die Freude, in Vorarlberg Arzt oder Ärztin zu sein, geweckt werden kann. Das wird von den Entwicklungskreisen „Soziales und Politisches Gestalten“ unterstützt. Letztendlich geht es ja darum, das soziale Gestalten in Strukturen und damit in eine politische Handlung zu bringen. Frage : Hat sich für Sie auch Unerwartetes eröffnet? Karin Metzler : Ja, das kann man sagen (lacht). Dass es so viele wun- derbare Menschen gibt, die Lust auf gesellschaftliche Veränderung haben und sich dafür uneigennützig einbringen, und zwar ohne Lobby- ing. Was für eine Schubkraft, in der interdisziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung steckt! Ein nicht ärztlicher Teilnehmer sagte, „dass eine Kammer die Fenster so weit aufmacht und in die Welt schaut, ist schon erstaunlich“. Für alles das, habe ich große Wertschätzung. Frage : Gab und gibt es auch Schwieriges? Karin Metzler : Ein Visionsprozess bringt immer auch emotionale Spannungen mit sich, weil er zwangsläufig mit Unsicherheiten ver- bunden ist. Damit Neues in die Welt kommt, muss Altes in Frage gestellt werden dürfen. Von ÄrztInnen und von uns wird in der Re- gel verlangt, dass wir alles wissen. Es ist deshalb für den einen oder anderen herausfordernd, sich auf einen Prozess einzulassen, bei dem es vorerst um die Fragen und um das Nicht-Wissen geht. Da können Interviews zum Prozess Interviews zum Prozess

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