Für ein heilsames Miteinander - Buch 2: Feldstecher
172 173 Stichwort Selbständigkeit, wie geht es Ihnen in Ihrem beruflichen Alltag als Ge- meindeärztin in Ludesch? Was sind Ihre ganz persönlichen Herausforderungen, was ihre Glücksmomente? Dr. Schmidbauer: Die Aussage eines befreundeten Kollegen und praktischen Arztes habe ich anfänglich belächelt, als er meinte, die Allgemeinmedizin sei die „Königsdisziplin“. Heute stimme ich ihm voll und ganz zu. In keiner anderen Fach- richtung gibt es eine so große Bandbreite, die man erfüllen soll, kann oder muss. Als Frau sehe ich auch die Doppelbelastung, zwischen Familie und Arbeit „switchen“ zu müssen. Ich denke, dass es hier meine männlichen Kollegen immer noch um vieles einfacher haben. Herausforderungen in der Praxis sind wie bereits erwähnt das zeitliche Manage- ment und die Patientenzahlen. Aber auch, die Sorgen und Erfordernisse der Patien- ten richtig zu deuten und den Menschen auf der gleichen Ebene zu begegnen. Glücksmomente gibt es viele, die Men- schen vertrauen einem und sind dankbar für das, was man macht. Natürlich gibt es auch Negativmomente, die zwar eher die Seltenheit sind, aber schon belasten. Man ist alleine und soll und muss die Entscheidungen auch richtig treffen, das ist nicht immer leicht. Aber Gespräche mit Kollegen helfen mir persönlich dann meistens weiter. Darum hätte ich wirklich gerne mehr Kontakt zu anderen Kollegen und Kolleginnen. Wie nehmen Sie Ihre Patientinnen und Patienten wahr? Mit welchen Ansprüchen und Erwartungshaltungen kommen sie zu Ihnen? Dr. Schmidbauer: Es liegt viel Angst und Sorge in der Luft. Die Menschen sind verunsichert und übernehmen meines Erachtens nur mehr wenig bis gar keine Verantwortung für sich oder ihre An- gehörigen. Da haben sicher auch ganz wesentlich die Medien dazu beigetragen. Die Werbung suggeriert uns täglich, dass es für jedes Wehwechen ein Mittelchen gibt, oder dass zum Beispiel Zecken sehr gefährlich sind und riesengroß auf Pla- katen abgedruckt werden müssen. Mein Eindruck ist, dass die Menschheit mit der schnellen Zeit gar nicht mehr zurecht- kommt. Die Medizin sollte viel mehr in die Prävention hineingehen und die Politik sollte das fördern. Der Gang zum Arzt ist bei uns in Österreich, wie ich finde, sehr niederschwellig. Das hat seine positiven, aber auch negative Auswirkungen und ist bald nicht mehr leistbar. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ein System, wo sich nur mehr die „Reichen“ eine medizinische Ver- sorgung leisten können, nie und nimmer zu uns kommen darf! Was würden Sie sich von den Arztkollegin- nen und -kollegen, was von den Patientin- nen und Patienten für ein gutes Miteinan- der wünschen? Dr. Schmidbauer: Mehr Miteinander trotz des hohen Arbeitsaufkommens un- ter uns Kollegen. Es soll leichter werden für uns alle. Von den Patienten wünsche ich mir mehr Eigeninitiative und Eigenver- antwortung und weniger Angst vor allem. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik: Was ist Ihre Vision von einem für alle Beteiligten erfolgrei- chen Gesundheitssystem? Dr. Schmidbauer: Diese momentane Regierung und wie sie aktuell agiert, erzeugt bei mir ein sehr ungutes Ge- fühl. Wir sind drauf und dran, uns selber kaputt zu machen. Einige Stichworte dazu: Arbeitszeitverlängerung, Kürzungen der Familienbeihilfe oder Notstandshilfe, Firmen, die Regeln so mir nichts, dir nichts missachten, ein sehr wirtschafts- gesteuertes System, viel Erschöpfung schon bei jungen Menschen, Aggressivität bei Kindern und schlechte Schulerfolge, mangelnde Aufklärung in der Bevölkerung und Unwissenheit, Ratlosigkeit und Wut gegenüber der Politik, usw... Aber zu meinen Vorstellungen: Ich finde das Zusammenspiel von Ärzten unterschiedlicher Disziplinen interessant, ebenso mit den anderen Gesundheits- berufen. Das sollte Hand in Hand gehen. Außerdem finde ich diese Abkehr vom realen Leben heutzutage problematisch. Das Unsterbliche, das ewig leben wollen, ist so dominant geworden. Es macht für mich keinen Sinn, dass man 90-jährig noch faltenfrei und wie ein junger Hirsch rumspringen muss. Ich finde, wir müssen wieder zurück zum normalen Leben. Danke für dieses Schlusswort und das offene Gespräch! Für ein heilsames Miteinander Begegnungen der anderen Art Aus der Kammer Im Juni 2017 fand erstmals ein großes regionales Netzwerktreffen zwischen den medizinischen Bereichen Krankenhaus, freie Praxis und Allgemeinmedizin in Bregenz statt. Das damalige Treffen zwischen den GynäkologInnen aus dem LKH Bregenz und dem niedergelassenen Bereich und den HausärztInnen aus der Region Bregenz entstand auf Initiative der Gruppe „ÄrztInnen gemeinsam unter- wegs“. Am 23. Mai 2018 folgte nun ein zweiter überdisziplinärer Begegnungsabend in Thüringen. Gastgeber im Rahmen des Visionsprozesses der Ärztekammer Vorarlberg waren Markus Baldessari, Patrick Clemens, Joachim Hechenberger und Wolfgang Metzler gemeinsammit Barbara Schmidbauer. Die Einladung er- folgte an die praktischen ÄrztInnen aus dem Walgau, die OrthopädInnen aus dem LKH Feldkirch und ihre niedergelassenen KollegInnen aus der Region. Moderiert wurde der „Arbeitsabend der anderen Art“ von Visionsprozessleiterin Mag. Karin Metzler. EIN BERICHT ZU DIESEM IN VIELERLEI HINSICHT BESONDEREN ABEND IMMALERI- SCHEN AMBIENTE DER VILLA FALKENHORST von Brigitta Soraperra „Ich bin da, um einfach mal die Menschen, denen ich immer meine Patienten zuweise, kennenzulernen“, spricht Max Ogrisek, Allgemeinmediziner in Thüringen, bei der ein- leitenden Vorstellungsrunde seine Beweggründe aus, warum er der Einladung gerne gefolgt ist. Auch Aldo Sauerwein, seit 25 Jahren in der Landarztpraxis tätig, beschreibt: „Viele kenne ich nur von den Briefen, den Unterschriften und auch den Chef (gemeint ist der Leiter der Orthopädie im LKH Feldkirch, Anm. B.S.) nur vom Namen her.“ Stefanie Urban, Assistenzärztin Orthopädie im Krankenhaus Feldkirch, nennt die gleichen Grün- de wie ihre niedergelassenen Kollegen: „Ich finde es sympathisch, mal die Gesichter zu den Zuweisungen kennenzulernen, die man tagtäglich liest.“ Und Karl-Heinz Wäger, seit acht Jahren Orthopäde in Nenzing, formuliert: „Mir geht es um die Vernetzung zwischen den Krankenhaus-Ärzten, den Niedergelassenen und den Allgemeinärzten, damit es eine bessere Zusammenarbeit gibt“. „Hören und sehen ist so eine Sache,“ bringt es Michaela Fabianek, seit 14 Jahren Hausärztin in Blons, knapp auf den Punkt, „und: gehört und ge- sehen werden“. „Für mich ist Dialog wichtig“ sagt auch Markus Riese, Facharzt Orthopä- die in Feldkirch, „es ist ja jeder so ein bisschen Einzelkämpfer und die Praktiker noch viel mehr, darum sind so Abende gut, dass man sich austauscht.“ Zum Austausch nach Thüringen eingeladen hat die Ludescher Gemeindeärztin Barbara Schmidbauer, die vom Netzwerktreffen in Bregenz gehört und sich aktiv an die Visionsgruppe gewendet hat mit der Bitte um Unterstützung. Auch sie spricht zu Beginn des Abends von der Gefahr der Vereinsamung in der freien Praxis, und dass die Kontakte zu den KollegInnen im Krankenhaus bei den Überweisungen nur kurz, anonym, via Mail oder Fax stattfinden, dass man teilweise „auch die Namen nicht mehr kennt und schon gar nicht die Personen dahinter“. Und dass sie sich mehr fachlichen Austausch, mehr Kommunikation zwischen „drinnen“ und „draußen“ wünschen würde, wohl wissend, dass der ärztliche Alltag heute in allen Bereichen von Überlastung und Zeitmangel ge- prägt ist. Umso dankbarer hat sie das Angebot der Gruppe „ÄrztInnen gemeinsam unterwegs“ angenommen, mit ihr gemeinsam Zeit und Raum für einen informellen und fächerübergreifenden Austausch zu gestalten. (vgl. auch Heft 5, Mai 2018) Im Laufe des Abends kristallisiert sich immer mehr heraus, dass diese mangelnde Kommunikation nicht selten zu einer Art Graben zwischen den Niedergelassenen und den KrankenhausärztInnen führt, dass gegenseitiges Verständnis nicht naturgegeben ist und dass viel Unwissenheit herrscht, was jede und jeder im jeweiligen Berufsfeld ››› Die TeilnehmerInnen nutzten das Netzwerktreffen zur Verbesserung der Kommunikation und Arbeitsweise in der Region. Arzt im Ländle 07/08-2018 Arzt im Ländle 06-2018
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