Aus dem Marketingreport
„Die aktuelle Situation der Allgemeinmediziner“ Juni 2011
der SPECTRA MarktforschungsgesmbH/Linz
Patientenzahlen, Zusatzquali-
fikationen und Praxisschwer-
punkte
– Ein Allgemeinmediziner mit
Kassenvertrag behandelt an
einem
Ordinationstag
im
Durchschnitt (Median) 70 Pati-
enten in seiner Praxis, das
wären (bei 4,5 Arbeitstagen pro
Woche) 315 Patientenkontakte
pro Woche bzw. (bei 43 Arbeits-
wochen pro Jahr = 52 Wochen
minus 9 Wochen für Urlaub,
Krankentage und Feiertage)
rund 13.500 Kontakte pro Jahr.
Umgelegt auf alle rund 4.200
Allgemeinmediziner mit Kas-
senvertrag ergibt das eine Zahl
von 57 Millionen Patientenkon-
takten pro Jahr.
– Ein Allgemeinmediziner ohne
Kassenvertrag (Wahlarzt) be-
handelt an einem Ordinations-
tag durchschnittlich (Median)
10 Patienten.
– Signifikante Unterschiede bei
den Patientenzahlen gibt es
jedoch nicht nur zwischen Kas-
sen- und Wahlärzten sondern
auch zwischen Allgemeinmedi-
zinern im ländlichen Bereich
und solchen in Großstädten.
Ein Allgemeinmediziner am
Land sieht pro Tag oft doppelt
so viele Patienten wie ein Allge-
meinmediziner in Großstädten.
– Rund 80 % der Allgemeinme-
diziner verfügen über Zusatz-
qualifikationen. Diese reichen
von der Notfallmedizin, Pallia-
tivmedizin, Arbeitsmedizin, Ge-
riatrie über Ernährungs- und
Umweltmedizin, psychosozia-
len Medizin bis hin zu komple-
mentärmedizinischen Spezial-
ausbildungen für Akupunktur
und Homöopathie.
– Rund 50 % der Allgemeinme-
diziner mit Kassenvertrag und
mehr als 80 % der Allgemein-
mediziner ohne Kassenvertrag
haben sich in ihrer Praxis einen
fachlichen Schwerpunkt gesetzt,
entweder einen methodischen,
wie zum Beispiel Naturheilkun-
de, Alternativ- bzw. Komple-
mentärmedizin und Psychothe-
rapie oder einen fachlichen wie
Diabetologie, Kardiologie oder
Geriatrie.
– Methodische Schwerpunkt-
setzungen im Bereich komple-
mentärmedizinischer Metho-
den findet man am häufigsten
bei
Wahlärzten,
während die Kas-
senärzte ihren Pra-
xisschwerpunkt
eher
auf
Erkrankungen mit hoher Präva-
lenz (Diabetologie, Herzkreis-
lauferkrankungen, geriatrische
Erkrankungen) setzen.
Die klassische Hausarztrolle
– Auch wenn fast jeder zweite
Allgemeinmediziner mit Kas-
senvertrag in seiner Praxis fach-
liche Schwerpunkte aufweist:
Fast alle Allgemeinmediziner
mit Kassenvertrag verstehen
sich als klassische Hausärzte.
Konkret berichten 99 % der All-
gemeinmediziner mit Kassen-
vertrag, dass ihr Berufstalltag
vollkommen der Rolle des klas-
sischen Hausarztes entspricht
(85 %) oder zumindest zu
einem großen Teil (14 %).
– Gänzlich anders stellt sich die
Situation bei den Wahlärzten
dar: Diese sehen sich nur zu
einem Drittel in der Rolle des
klassischen Hausarztes. Zwei
Drittel haben sich beruflich so
weit spezialisiert bzw. in ihrer
Praxis solche klaren Schwer-
punkte gesetzt, dass ihr Beruf-
salltag nur mehr sehr bedingt
oder gar nicht dem eines klassi-
schen Hausarztes entspricht.
– 90 % der Allgemeinmediziner
(96 % der Allgemeinmediziner
mit Kassenvertrag und knapp
80 % der Allgemeinmediziner
ohne Kassenvertrag) sind über-
zeugt, dass eine hausärztliche
Strukturierung der Gesund-
heitsversorgung Vorteile hat,
und zwar sowohl für die Patien-
ten (Vertrauensverhältnis zum
Arzt,
Betreuungskontinuität)
als auch für das Gesundheitssy-
stem (Kosteneffizienz, optimale
Primärversorgung).
Das ärztliche Gespräch
– Alle befragten Allgemeinme-
diziner bezeichnen das ärztliche
Gespräch in der
allgemeinmedizi-
nischen Praxis als
sehr wichtig.
– Allerdings, der Praxisalltag
bzw. die Rahmenbedingungen,
unter denen eine Praxis zu
führen ist, lassen dafür den Kas-
senärzten, den Ärzten, die sich
als klassische Hausärzte verste-
hen, oft zuwenig Zeit.
– Nur 30 % der Kassenärzte
berichten, dass ihnen der Praxi-
salltag ausreichend Zeit für ein
zuwendendes ärztliches Ge-
spräch lässt.
Der Stellenwert der Allgemein-
medizin und die Bürokratisie-
rung des Ärztlichen Berufs
– Im österreichischen Gesund-
heitssystem hat die Allgemein-
medizin nicht den Stellenwert,
der ihr zukommt. Darin sind
sich fast alle Allgemeinmedizi-
ner (88 %) einig.
– Die Bürokratisierung des ärzt-
lichen Berufes nimmt zu. Es
gibt zu viel oder unnötige Büro-
kratie, so die Erfahrung von
mehr als 80% der Allgemein-
mediziner. Und die zunehmen-
de Bürokratisierung wird von
den Ärzten in erster Linie mit
den Kassen in
– Verbindung gebracht (Stich-
wort Chefarztbewilligung).
– Die Bürokratisierung wird
von den Allgemeinmedizinern –
insbesondere von denen mit
Kassenvertrag – als das größte
Ärgernis betrachtet, mit dem sie
in ihrem Beruf konfrontiert
sind.
Barrieren bei der Besetzung
Allgemeinmedizinischer
Planstellen
– Die zunehmenden Schwierig-
keiten bei der Besetzung allge-
meinmedizinischer Planstellen
führen die Allgemeinmediziner
auf das Missverhältnis zwischen
der Einkommenssituation und
Verdienstchancen einerseits und
dem hohen Arbeitsaufwand
sowie der ständigen Einsatzbe-
reitschaft andererseits zurück.
– Abnehmende generelle At-
traktivität des Berufsbildes
„Allgemeinmediziner“, zuneh-
mende Bürokratisierung, Ein-
schränkung der Verdienstmög-
lichkeiten (etwa durch Schlies-
sung von Hausapotheken) und
das Risiko der Selbstständigkeit
verschärfen die Situation.
Würde man sich wieder für
den Beruf eines Allgemein-
mediziners entscheiden?
– Rund drei Viertel der Allge-
meinmediziner würden sich
bestimmt oder wahrscheinlich
wieder für den Beruf des Allge-
meinmediziners
entscheiden
(obgleich sich für viele nur ein
Teil der Erwartungen erfüllt hat,
die sie zu Beginn ihrer Berufs-
laufbahn hatten). Dies zeigt,
dass die meisten Allgemeinme-
diziner in der Regel engagierte
Ärzte sind, die mit Überzeu-
gung ihren Beruf ausüben.
– Nicht zu übersehen ist aber
auch, dass sich ein Viertel nicht
mehr für den Beruf des Allge-
meinmediziners
entscheiden
wurde, hätte es die Wahl. Ver-
antwortlich dafür sind in erster
Linie eine unbefriedigende Ein-
kommenssituation, Bürokratie/
bürokratisches Kassensystem,
zu geringe (soziale) Anerken-
nung und hoher Arbeitsauf-
wand/Arbeitszeiten.
ARZT IM LÄNDLE
01-2012
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