ARZT & RECHT
ärzte wenig begeistert, sondern vor
allem auch die für die Vertretung
der ländlichen Bevölkerung verant-
wortlichen Politiker. InReaktion auf
das ob genannte VfGH-Erkenntnis
wurde daher eine gesetzliche Sanie-
rung versucht, indem die schon seit
der Stammfassung des Apotheken-
gesetzes politisch intendierte Du-
alität der Arzneimittelversorgung
nunmehr auch explizit gesetzlich
verankert wurde. Die legistische
Umsetzung dieses Vorhabens ist
allerdings bis heute nicht befriedi-
gend gelungen, was zur Folge hatte,
dass der VfGH die späteren Novel-
lierungen des Apothekengesetzes
wiederholt in Teilbereichen aufge-
hoben hat.
Die Apothekengesetznovelle 2014)
fiel dem VfGH-Erkenntnis vom 14.
10. 2005 zum Opfer.5) Die darauf-
hin erfolgte Apothekengesetzno-
velle 2006 6) wurde wiederum vom
VfGH mit Erkenntnis vom 30. 6.
2012 7) teilweise aufgehoben, was
den Gesetzgeber mittlerweile zu
einer weiteren Apothekengesetzno-
velle gezwungen hat. 8)
Dass die Sanierungen des Apo-
thekengesetzes sich immer wieder
als Fehlschlag herausgestellt ha-
ben, ist deshalb erstaunlich, weil
der VfGH seit 1998 mehrfach sehr
klar geäußert hat, wie er sich eine
verfassungskonforme Lösung vor-
stellen kann. Der VfGH hat dabei
insofern eindeutig Position bezo-
gen, als er das öffentliche Interes-
se an einer flächendeckenden und
funktionierenden Arzneimittelver-
sorgung als geeignet angesehen hat,
einen Eingriff in das Grundrecht
auf Erwerbsfreiheit zu legitimieren.
Er hat aber auch zum Ausdruck ge-
bracht, dass die Einführung einer
dualen Arzneimittelversorgung, die
auf öffentlichen Apotheken einer-
seits und ärztlichen Hausapotheken
andererseits beruht, in der verfas-
sungsrechtlich zulässigen Entschei-
dungskompetenz des einfachen
Gesetzgebers liegt, und daher die
Schaffung eines dualen Systems der
Arzneimittelversorgung als verfas-
sungskonform erachtet.9)
Er hat es lediglich abgelehnt,
die Konzession für eine öffentliche
Apotheke daran zu binden, dass
der Konzessionswerber vorweg ein
bestimmtes Einzugsgebiet (und da-
mit seinen voraussichtlichen wirt-
schaftlichen Erfolg) nachweisen
muss.
Es gäbe daher eine ganz einfache
und klare Möglichkeit, das gesund-
heitspolitisch angestrebte System
im Apothekengesetz auf eine ver-
fassungskonforme Basis zu steilen:
die klare Abgrenzung jener Gebiete,
die dicht genug besiedelt sind, um
vernünftigerweise mit öffentlichen
Apotheken versorgt zu werden, von
jenen (dünn besiedelten) Gebieten,
in denen es versorgungspolitisch
klüger ist, die Bevölkerung durch
den verschreibenden Arzt mit Arz-
neimitteln zu beliefern.
Aufgabe des politischen Kompro-
misses wäre es, diese Grenze zu
definieren, also festzulegen, ab wel-
cher Bevölkerungsdichte ein Gebiet
zur „Apothekenregion“
erklärt wird (die ausschließlich von
öffentlichen Apotheken versorgt
werden kann und soll) und welche
Regionen im Umkehrschluss von
ärztlichen Hausapotheken betreut
werden.
B. GemeinschaftsrechtlicheVorga-
ben an das Apothekenbewilli-
gungsverfahren
Die hier zum Anlass der Anmer-
kung genommene jüngste Ent-
scheidung des EuGH vom 13. 2.
2014 in der
Rs Sokoll-Seebacher
10)
macht sehr eindrucksvoll klar, dass
sich die unglücklichen Sanierungs-
versuche des Apothekengesetzes in
den letzten zehn Jahren nunmehr
durch das Gemeinschaftsrecht zum
Bumerang für die öffentlichen Apo-
theken entwickelt haben. Mit dieser,
aufgrund der Vorjudikatur nicht
wirklich überraschenden, Entschei-
dung wurde nämlich die in § 10
Abs 2 Z 3 ApG vorgesehene Kon-
zessionsbedingung, dass durch eine
Apotheken-Neuerrichtung
nicht
das Einzugsgebiet einer bestehen-
den öffentlichen Apotheke unter die
kritische Größe von 5.500 Personen
im Umkreis von vier Straßenkilo-
metern gedrückt werden darf, als
unvereinbar mit Art 49 AEUV (also
der Garantie der Niederlassungs-
freizügigkeit) angesehen und damit
dem Konkurrenzschutz der öffent-
lichen Apotheken in der bisherigen
Form der Boden entzogen.
Dabei hat der EuGH allerdings
(wieder) klargemacht, dass eine Be-
darfsprüfung per se aus Sicht des
Art 49 AEUV für Gesundheitsein-
richtungen durchaus kein Tabu ist.
Schon mit der richtungsweisenden
(ebenfalls österr.) Erkenntnis vom
10. 3. 2009 in der Rs
Hartlauer
11) hat der EuGH konzediert, dass
der Schutz der Gesundheit der
Bevölkerung zu den zwingenden
Gründen des Allgemeininteresses
gehöre, die Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit und damit
auch Bedarfsprüfungen für Ge-
sundheitseinrichtungen rechtfer-
tigen können. Im Erkenntnis vom
1. 6. 2010 in der Rs
Perez/Gömez/
Asturien
12) hat der Gerichtshof
diese Erwägungen ausdrücklich
auf öffentliche Apotheken übertra-
gen und klargemacht, dass sich Be-
schränkungen der Niederlassungs-
freiheit mit dem Ziel rechtfertigen
lassen, die qualitativ hochwertige
Arzneimittelversorgung der Bevöl-
kerung sicherzustellen, und den
Mitgliedstaaten auch eine Bedarfs-
prüfung für öffentliche Apotheken
zugestanden. In weiterer Folge hat
der EuGH diese Aussage mehrfach
im Rahmen von Beschlüssen be-
stätigt.13) Schließlich hat er diese
Überlegungen auch auf die Kon-
zessionierung von Gesundheits-
leistungen erbringenden Optikern
erstreckt.14)
Konsequenterweise hat der EuGH
daher auch in der hier zu besprechen-
den E
Sokoll-Seebacher
ausdrücklich
eingeräumt, dass es einem Mit-
gliedstaat aus der Perspektive des
Art 49 AEUV nicht grundsätzlich
verwehrt sei, ein System der vorhe-
rigen Genehmigung für die Nieder-
lassung neuer Apotheken einzufüh-
ren, wenn sich ein solches System
als unerlässlich erweist, um eventu-
elle Lücken im Zugang zu Gesund-
heitsleistungen zu schließen und
um die Einrichtung von Strukturen
einer Doppelversorgung zu vermei-
den. Gescheitert ist die österreichi-
sche Regelung allerdings an einem
anderen Aspekt, der bereits in der
Rs
Perez,Gomez/Asturien
angespro-
chen wurde.
Schon damals hat der EuGH
darauf hingewiesen, dass eine Ein-
schränkung der Niederlassungsfrei-
heit mit Berufung auf das Ziel einer
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ARZT IM LÄNDLE
12-2014
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