aks- gesundhe i t
Ekzessives Schreien und chronische Un-
ruhe im Säuglingsalter
Frühkindliche Regulationsstörungen gehören zu den häufigsten Problemen in Kinderarztpraxen:
Rund eines von zehn Babys schreit in den ersten drei Lebensmonaten übermäßig viel und heftig.Weist
der Säugling eine Regulationsstörung auf, sind in jedem Fall viel Nervenstärke, Ausdauer und innere
Ruhe der Eltern gefragt. Die klinische Psychologin und Psychotherapeutin Claudia Salzgeber von den
Kinderdiensten der aks gesundheit beschreibt die Ursachen.
(Foto: iStock)
Interventionsmöglichkeiten
„Jede kindliche Entwicklung ist mit
entwicklungsbedingten Krisen ver-
bunden. Aber das Auftreten von Re-
gulationsstörungen führt in der Fa-
milie häufig zu hohen Belastun-
gen. Addiert man zusätzliche Be-
lastungsfaktoren oder fehlen Unter-
stützungsmöglichkeiten sind solche
Krisen für Eltern allein kaum zu
bewältigen. Die Gefahr von Miss-
handlungen durch die andauernde
Erschöpfung und Überforderung
steigt“, verdeutlicht Salzgeber.
Um
betroffene Familien zu unter-
stützen, ist eine frühzeitige Diagno-
se notwendig. Nur so können zeit-
nah gezielte Maßnahmen im Um-
feld der Familie, durch „frühe Hil-
fen“ oder in einer Beratungsstelle
für Schrei-Schlaf-Fütterstörungen
veranlasst werden. Das entlastet die
Familie, erhöht die Bindungsquali-
tät und fördert die weitere Entwick-
lung des Kindes.
Kontakt
aks gesundheit GmbH
Kinderdienste
Rheinstraße 61
6900 Bregenz
T 055 74 / 202 – 0
E
twa 20 bis 30 Prozent al-
ler reifgeborenen, körper-
lich gesunden Säuglinge sind
„Schrei-Babies“. Sie weinen mehr als
drei Stunden am Tag, mehr als drei
Tage pro Woche, über einen Zeit-
raum von mindestens drei Wochen.
Die Eltern sind meist vom Schlaf-
mangel erschöpft und verzweifelt,
weil sie ihr Kind nicht beruhigen
können. Claudia Salzgeber: „Kin-
derärzte finden meistens keine zu-
grunde liegenden Krankheiten. Lan-
ge Zeit verharmloste man frühkind-
liche Regulationsstörungen und tat
sie als Entwicklungskrise, die sich
„auswächst“, ab. Aber stundenlanges
Schreien, Schlafstörungen oder ein
Baby, das nicht ausreichend Nah-
rung zu sich nimmt, stellen höchste
Anforderungen an die Eltern. Kom-
men weitere familiäre Belastungen
hinzu, können sich aus diesen frü-
hen Krisen Interaktionsprobleme
entwickeln, die lang anhaltende Fol-
gen für die weitere Entwicklung des
Kindes haben. Umso wichtiger ist
die frühe Prävention für eine starke
Eltern-Kind-Beziehung.“
Eindeutige Diagnostik ist wichtig
Eine ausführliche Entwicklungs-
anamnese und der Ausschluss or-
ganischer Ursachen für vermehr-
tes Schreien, Schlaf-, Essstörungen
oder chronische Unruhe sind die
Voraussetzung für eine erfolgreiche
Behandlung. Die verschiedenen Re-
gulationsstörungen treten bei be-
troffenen Kindern in altersbezo-
genen Entwicklungsphasen häu-
fig hintereinander auf. So berichten
beispielsweise über 66 Prozent der
Eltern von Kindern mit Fütterpro-
blemen auch von Schlafstörungen.
78 Prozent der „Schrei-Babies“ im
ersten Lebenshalbjahr haben später
Schwierigkeiten im Schlaf-Wach-
Rhythmus.
Selbstregulation, ein Zusammen-
spiel aus Entwicklungsprozessen,
Temperament und Beziehungser-
fahrungen
Die Selbstregulation von körperli-
chen und emotionalen Verhaltens-
prozessen stellt eine der wesent-
lichen Entwicklungsaufgaben der
ersten beiden Lebensjahre dar. Im
ersten Trimester geht es primär um
die Regulation der Körperfunkti-
onen wie Temperatur, Nahrungs-
aufnahme, Verdauung oder Schlaf-
Wach-Regulation. Später folgen
Entwicklungsanforderungen
wie
das Kennenlernen fremder Nah-
rungskonsistenzen, Umgang mit
Frustrationen und das Ausbalan-
cieren von Exploration und Bin-
dung. Für die Bewältigung dieser
Aufgaben sind die Kinder darauf
angewiesen, dass ihre Bezugsper-
sonen einfühlsam auf die indivi-
duellen Bedürfnisse reagieren. Mit
gefestigter Eltern-Kind-Beziehung
und ausreichender intuitiver Kom-
petenz der Eltern wird es dem Kind
gelingen, diese Entwicklungsaufga-
ben nach und nach erfolgreich selb-
ständig zu meistern.
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