aus der Kammer
... aus der Kurie angestellte Ärzte
von Kurienobmann VP Dr . Hermann Blassnig
EU-Vertragsverletzungsverfahren
aufgrund Nichtumsetzung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung.
I
m Jahre 2014 geht es nun wie-
der einmal um diese für die
EU-Mitgliedsstaaten rechtlich
bindende EU-Richtlinie aus dem
Jahre 1993, zuletzt maßgeblich ge-
ändert 2003. Nicht zum ersten Mal
geht es darum, aber nun mit kräf-
tigem Druck aus Brüssel. Bei Nich-
tumsetzung dieser Richtlinie durch
die Republik Österreich wird ein
EU-Vertragsverletzungsverfahren
eingeleitet. Das will niemand, zu-
mindest nicht die Republik.Worum
geht es?
Kritikpunkt
Zitat der Conclusio des Aufforde-
rungsschreibens vom 21. 2. 2014:
„Die Kommission vertritt daher
die Auffassung, dass Recht und Pra-
xis in Österreich nicht als mit den
Artikeln 3, 5, 6, 17, 18 und 22 der
Richtlinie 2003/88/EG vereinbar be-
trachtet werden können.“
Artikel 6 dieser Richtlinie be-
handelt die wöchentlichen Höchst-
arbeitszeiten. 48 Wochenstunden
durchschnittlich (einschließlich der
Überstunden, Bezugszeitraum bis
zu 16 Wochen) stellen das absolute
Limit dar. Das Krankenanstalten-
Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) sieht
zwar im Kern ebenfalls durch-
schnittlich 48 Wochenstunden im
Durchrechnungszeitraum von 17
Wochen vor, die per Betriebsver-
einbarung legitimierte maximale
Ausdehnung der Wochenarbeitszeit
bekannten Ausmaßes widerspricht
aber klar der EU-Richtlinie.
Die weiteren Kritikpunkte sind
vergleichsweise weniger problema-
tisch und werden hier nicht behan-
delt.
Ein seit vielen Jahren auf diese
maximale Arbeitszeitausdehnung
ausgerichtetes System – es handelt
sich immerhin um eine Überschrei-
tung von mindestens 25 %! – gerät
unter derartigen Vorgaben nun in
Schwierigkeiten.
20 bis 80 zusätzliche Ärzte („…
sicher 20, jedoch keine 80…“) wür-
den in unserem Land zur Umset-
zung der EU-Richtlinie benötigt,
heißt es seitens der Politik in un-
serem Land. Andere Bundeslän-
der sehen einen in die Hunderte
reichenden Bedarf an zusätzlichen
ärztlichen Fachkräften. Ein Land
will mit dem derzeitigen Ärztestand
auskommen: In den NÖ Landeskli-
niken werde bereits größtenteils die
von der EU geforderte maximale
Wochenarbeitszeit von 48 Stun-
den eingehalten, ein Mehrbedarf
an Ärzten sei daher nicht gegeben,
hieß es in einer Stellungnahme der
Landeskliniken-Holding. Andere
Länder wiederum halten sich noch
bedeckt.
Bemerkenswerte Unterschiede
im kleinen Österreich. Hinsicht-
lich der seit langem gebotenen EU-
Richtlinienumsetzung – es geht hier
schließlich um den Arbeitnehmer-
schutz! – reicht der Bogen offenbar
von gravierender Vernachlässigung
bis hin zur scheinbar fast schon
mustergültigen Umsetzung.
Was also jetzt tun?
Der verantwortliche Bundesmi-
nister für Soziales hat eine Ar-
beitsgruppe eingerichtet. Vertreter
der Länder, der Träger und der
Sozialpartner sollen nun rasch ei-
ne gangbare Lösung finden. Die
Kommission erwartet baldigst kon-
krete Umsetzungsvorschläge. Die
Umsetzung des Geforderten kostet
Geld. Zum Teil viel Geld, welches
die Länderbudgets mitunter außer-
ordentlich belasten würde. Gibt der
Arbeitsmarkt die erforderlichen
Fachkräfte überhaupt her? Wenn
nicht, liegen die Konsequenzen auf
der Hand.
Je nach politischer Situation
in den Ländern hört man Unter-
schiedliches, jedenfalls Zähneknir-
schen.
Gibt es Alternativen?
Ja, es gibt sie. Das individuelle Opt-
out aus der Richtlinie (EU-rechtlich
möglich!) sei der einzig gangbare
Weg, um das derzeitige (Dienst-
plan)System fortführen zu können,
hört man vom einen oder anderen
Trägervertreter. Man müsste wei-
terhin nichts verändern und könnte
Geld sparen.
Man möge sich diese Vorstel-
lung durch den Kopf gehen lassen.
Jeder Einzelne hat die Möglichkeit,
sich aus den arbeitsschutzrechtli-
chen Vorgaben der EU herzuneh-
men und so zum individuellen
Spielball zu werden. Der vormals
mühsamst erkämpfte kollektive
Schutz des Individuums – in Ge-
stalt des § 3 Abs.(3) KA-AZG
(„Im
Rahmen seiner Mitwirkungsbefug-
nis bei der Arbeitszeitgestaltung hat
das jeweils zuständige betriebliche
Vertretungsorgan das Einvernehmen
mit Vertreter/innen der betroffenen
Dienstnehmer/innen…, die den Ver-
handlungen beizuziehen sind, herzu-
stellen.“)
auf den kleinsten gemein-
samen Nenner gebracht – wäre da-
mit ad absurdum geführt.
Betriebsvereinbarungen in der
derzeitigen Form – und ich be-
haupte, dass im Wesentlichen die-
ses Instrument das Land überhaupt
erst dahin brachte, dass die bean-
standeten heimischen, gesetzlichen
Regelungen mittlerweile halbwegs
erfüllt werden – wären obsolet, jeg-
liche ernsthafte Verhandlungsbasis
unsererseits aufgegeben. Wer das
ernsthaft will, wird sich kritischen
Fragen zu stellen haben.
Wir werden sehen, was aus
der ministeriellen Arbeitsgruppe
kommt, auf jeden Fall sollten wir
uns auf den bevorstehenden politi-
schen Diskurs wohl vorbereiten.
Es geht hier in erster Linie um
den Arbeitnehmerschutz (also um
unsere Gesundheit), aber auch um
die systemrelevante Attraktivität
unseres Berufes im Spital und nicht
zuletzt um die Qualität unserer Ar-
beit am Patienten.
Kurienobmann VP
Dr. Hermann Blaßnig
Arzt im Ländle
05-2014
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