AUS DER KAMMER
Gemeinsam in der Vielfalt
Was bedeutet Pallium (lateinisch
Mantel)? Ein Mantel, der über den
Patienten in dessen letzten Tagen
und Stunden gelegt wird: ein Man-
tel, der mehrere Faltenwürfe zeigt
und interdisziplinär gelebt wird. Im
Mittelpunkt steht die Pflege (Abb.
1). Gleichwertiges interprofessio-
nelles Denken und Handeln – ge-
meinsam in der Vielfalt – von Pfle-
ge, Medizin, Sozialarbeit, Psycho-
therapie, Physiotherapie und Seel-
sorge sind Grundvoraussetzung für
das Gelingen von Palliative Care.
Heute sprechen wir von Palliative
Care, ein Ausdruck der eigentlich
nicht übersetzbar ist. Zu Deutsch
sagt man manchmal Palliativver-
sorgung. Doch greift dies zu kurz,
da Care neben Versorgung auch
Fürsorge bedeutet.
Times are a changing
Als wir vor 20 Jahren ein Konzept
für Palliativmedizin im Bundesland
Vorarlberg („für alle, die es brau-
chen“) und die Einrichtung einer
Palliativstation angedacht haben,
ging es vordergründing um Defi-
nition und Abgrenzung der Aufga-
be Palliativmedizin: Schmerzthera-
pie und Symptomkontrolle über-
wiegend für Krebspatienten in den
letzten Tagen und Stunden. Pallia-
tive Medizin haben wir schon im-
mer gemacht, sagten zur Recht viele
Ärzte, besonders Onkologen (Abb.
2). Gegenwärtig sehen wir ein Um-
denken in verschiedene Richtun-
gen.
Palliative Care soll bei onkolo-
gischen Patienten früher einge-
setzt werden.
Eine Arbeit im NEJM aus dem
Jahr 2010 hat gezeigt, dass Lun-
genkrebspatienten, die frühzeitig
in eine Palliative Care Mitbehand-
lung aufgenommen wurden, deut-
lich bessere Lebensqualität hatten
und auch 3 Monate länger lebten
(1)
. Besonders bei einer weit fort-
geschrittenen Krebserkrankung ge-
winnt die Lebensqualität als Be-
handlungsziel zunehmend an Be-
deutung. Auch somatopsychische
Leiden, individuelle Bedürfnisse
und spirituelle Anliegen der Pati-
enten sollten Berücksichtigung fin-
den. Bei Schwerstkranken ist vor al-
lem die subjektive und individuel-
le Lebensqualität zu sehen, die sich
oft von der objektiv gesundheitsbe-
zogenen Lebensqualität unterschei-
det.
Palliative Care soll vermehrt
auch bei nicht onkologischen
Patienten bedacht werden.
Die meisten Menschen sterben
letztlich an Herzversagen. Deren
Atemnot ist oft unterbehandelt.
Auch Patienten mit Nieren- oder
Leberversagen leiden unter quälen-
den Symptomen, denen mit Kom-
petenz in Palliative Care besser be-
gegnet werden kann. Patienten
mit chronisch obstruktiver Lun-
generkrankung leiden nicht nur
an Atemnot. Sie spüren die eigene
Endlichkeit anhand von Schwäche,
Müdigkeit, Husten und Schmerzen.
Diese Beeinträchtigungen und Ein-
schränkungen im alltäglichen Le-
ben werden von den Betroffenen
bedeutsamer bewertet als die Lin-
derung von Exazerbationen.
Endstation Pflegeheim
In Vorarlberg stirbt noch 1/3 zu
Hause, was der Wunsch von 80%
ist. Um dies halten zu können, sind
die bereits gut ausgebaute flächen-
deckende Hauskrankenpflege und
die hausärztliche Versorgung weiter
aufzuwerten. Das Sterben hat sich
Palliative Care im Wandel
VON UNIV.-PROF. DR . GEBHARD MATHIS UND DR . SIEGFRIED HARTMANN
Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und deren Famili-
en, die mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen:
Durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, untadelige Einschätzung
und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozia-
ler und spiritueller Art. (WHO)
Univ.-Prof. Dr.
Gebhard Mathis
Abb. 2: Palliative Care
Abb. 1
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| ARZT IM LÄNDLE
09-2014