Oberster Gerichtshof bejaht Arzthaftung
bei Sturz vom Operationstisch
I
m gegenständlichen Fall ver-
ließ der Chirurg nach erfolg-
reicher Operation den Opera-
tionssaal und überließ die nur noch
„relativ oberflächlich narkotisierte“
Patientin der Obhut des Anästhe-
sisten und des Operationsgehilfen.
Der Anästhesist blieb anwesend um
die Vitalparameter der Patientin zu
überwachen. Um ein mobiles Puls-
oximeter aus dem Aufwachzimmer
zu holen, verließ in weiterer Folge
auch der Anästhesist für zwei bis
drei Minuten den Raum. In diesem
Zeitraum stürzte die Patientin auf-
grund einer unwillkürlichen Auf-
wachreaktion vom – „sehr schma-
len“ – OP-Tisch und zog sich Ver-
letzungen zu.
Der OGH musste in einem ers-
ten Schritt klären, ob der Anästhe-
sist für die Patientensicherheit bis
zum„Ausschleusen“ verantwortlich
ist. Das Höchstgericht stellte dabei
zunächst fest, dass es grundsätzlich
üblich sei, dass bis zum sogenann-
ten „Ausschleusen“ eines Patienten
aus dem OP-Saal neben dem Pfle-
ger oder OP-Gehilfen auch ein Arzt
(ständig) beim Patienten bleibt.
Standardmäßig nicht vorgesehen
sei hingegen, dass der Patient wäh-
rend des Ausschleusens und der
Überstellung in den Aufwachraum
mittels Pulsoximeters überwacht
wird. Der OGH ging weiteres davon
aus, dass der Anästhesist im konkre-
ten Fall jedenfalls auch beauftragt
war, dafür Sorge zutragen, dass die
Patientin beim Erwachen nicht
vom OP-Tisch fällt. Ergänzend wies
der OGH daraufhin, dass der Anäs-
thesist, wenn er die Obsorgepflicht
des Chirurgen nicht übernehmen
wollte, diesen im konkreten (Ein-
zel-)Fall hätte auffordern müssen,
weiter im OP-Saal zu bleiben.
Zur Frage, ob mit einer solchen
unwillkürlichen Reaktion zu rech-
nen war, führte der OGH zunächst
aus, dass die Behandlung entspre-
chend den Grundsätzen der medi-
zinischenWissenschaft und den Re-
geln der ärztlichen Kunst erfolgen
muss. Zur Betreuungspflicht des
Arztes zähle auch, den Patienten vor
sonstigen durch die Behandlung
entstehenden Gefahren zu schüt-
zen. Nur für eine unvorhersehbare
Reaktionshandlung hafte er nicht.
Im konkreten Fall bejahte der OGH
die Haftung, da die Wirkung des
zwecks „Entrelaxierung und An-
tagonisierung“ nach der Narkose
verabreichten Medikaments – ins-
besondere bei adipösen Patienten
wie der konkret Geschädigten –
„extrem schwer“ einschätzbar ist. Es
könne daher im vorliegenden Fall
nicht von einer „unvorhersehbaren
Reaktionshandlung“ der Patientin
gesprochen werden, mit der der An-
ästhesist nicht rechnen musste. Der
beklagte Anästhesist musste viel-
mehr gerade hier mit unwillkürli-
chen Reaktionen der Patientin beim
Aufwachen rechnen, weshalb er sie
bis ins Aufwachzimmer – ununter-
brochen – hätte begleiten müssen,
wie es nach seinen eigenen Angaben
auch „Standard“ ist.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage auseinan-
dergesetzt, wer nach Beendigung einer OP bis zum „Ausschleusen“ für die Sicherung des Patienten
zuständig ist.
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11-2013
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