AUS DER KAMMER
ihrer Patienten, sagte der Präsident
der Österreichischen Gesellschaft
für Allgemeinmedizin, Reinhold
Glehr. Auf dieser Basis sei es oft
leichter, eine werdende Mutter
wenn nötig zu einem gesunden
Lebensstil zu motivieren oder psy-
chische Probleme gezielt anzuspre-
chen. „Außerdem nehmen gerade
Teenager, aber auch ältere Frauen,
eine Schwangerschaft und in der
Folge die Mutter-Kind-Pass-Unter-
suchungen oft erst nach einem Ge-
spräch mit ihrem Hausarzt wahr.“
Auch Glehr hält eine Ausweitung
des Mutter-Kind-Pass-Programms
auf Schulkinder für sinnvoll, etwa
nach dem Beispiel des Vorsorge-
programms „Junior Check“ der
SVA für Gewerbliche Wirtschaft.
Mutter-Kind-Pass-Kommission:
Stillstand beenden – Mediziner
wieder einbinden
Für Obmann der Bundesfachgruppe
Frauenheilkunde und Gynäkologie,
Thomas Fiedler, ist es aus ärztlicher
Sicht untragbar, in die Entwicklung
des Mutter-Kind-Passes de facto
nicht mehr eingebunden zu sein.
Die Österreichische Ärztekammer
habe daher eine eigene Interdiszi-
plinäre Expertenkommission ins
Leben gerufen. Als deren Vorsitzen-
der plädierte Fiedler eindringlich
dafür, medizinische Experten wie-
der in gesundheitspolitische Ent-
scheidungen rund um den Mutter-
Kind-Pass einzubeziehen.
ÖÄK-Enquete „40 Jahre Mutter-Kind-Pass
– eine Erfolgsgeschichte“
Unter dem Motto „40 Jahre Mutter-Kind-Pass – eine Erfolgsgeschichte“ hat die Österreichische Ärz-
tekammer kürzlich zu einer festlichen Enquete nach Wien geladen. Ab Mitte der 1970er-Jahre gelang
es mit der Einführung einer regelmäßigen und standardisierten Untersuchung von Schwangeren und
Säuglingen die bis dahin überdurchschnittlich hohe Säuglingssterblichkeit massiv zu senken. Um
aber auch zukünftig die Morbiditätsraten nachhaltig zu reduzieren, forderten in den Referaten und
Vorträgen auch Experten aus dem Bereich der Frauen- und Kinderheilkunde entsprechende Weiter-
entwicklungen undWeichenstellungen.
Ziel 1974:
Sterblichkeit senken
„Anfang der 1970er-Jahre starben
in Österreich doppelt so viele Kin-
der um die Geburt und im ersten
Lebensjahr wie in den meisten west-
europäischen Ländern“, sagte Univ.-
Prof. Sepp Leodolter in seinem
Vortrag. Hauptziel der damaligen
Gesundheitsministerin und Ärztin
Ingrid Leodolter sei es gewesen,
die Perinatale bzw. Säuglingssterb-
lichkeit sowie die Müttersterblich-
keit zu senken. Schon in den ersten
Jahren enthielt der Mutter-Kind-
Pass Anzahl und Zeitpunkt der Un-
tersuchungen für Schwangere und
Neugeborene sowie eine Reihe von
Labortests. Dank der Koppelung an
eine erhöhte Geburtenbeihilfe nah-
men werdende Mütter zu fast hun-
dert Prozent am Programm teil und
es zeigten sich schon nach wenigen
Jahren deutliche Erfolge: Von 1973
bis 1979 sanken die Perinatale und
die Säuglingssterblichkeit um je
40% und auch die Müttersterblich-
keit war in den ersten fünf Jahren
nach Einführung des Mutter-Kind-
Passes um fast die Hälfte geringer
als in den fünf Jahren davor.
Neue Herausforderung:
Hohe Frühgeburtenrate
Auf jüngere Entwicklungen im Be-
reich der Geburtshilfe verwies Univ.-
Prof. Dagmar Bancher-Todesca. Mit
einer aktuellen Säuglingssterblich-
keit von 3,2 Promille und einer peri-
natalen Sterblichkeit von 5,1 Promil-
le liege Österreich im internationalen
Vergleich sehr gut, „diese Raten kann
man kaum noch weiter senken“. Ein
„Meilenstein“ in der Entwicklung
der Vorsorgeuntersuchungen für
Schwangere sei der orale Glukose-
toleranztest gewesen, der nach jahre-
langem Ringen 2009 eingeführt
werden konnte. „Dank dieses Mut-
ter-Kind-Pass-Screenings können wir
heute die von Schwangerschaftsdia-
betes betroffenen Frauen frühzeitig
behandeln und gravierende Spätfol-
gen für das Kind verhindern oder
zumindest mildern.“
Schulkinder einbinden –
Auf Datenbasis gezielte Maß-
nahmen setzen
„Der ungebrochene Erfolg des Mut-
ter-Kind-Passes beschränkt sich kei-
neswegs auf die geglückte Senkung
der Sterblichkeitsraten“, betonte der
Präsident der Österreichischen Ge-
sellschaft für Kinder- und Jugend-
heilkunde, Univ.-Prof. Reinhold
Kerbl, in seinem Vortrag. Vielmehr
konnten Tausende Kinder durch die
im Lauf der Zeit hinzugekomme-
nen Untersuchungen und Präven-
tivmaßnahmen vor Erkrankungen
bewahrt oder rechtzeitig behandelt
werden. Als Beispiele nannte Kerbl
Stoffwechsel- und Hörscreening,
Hüftultraschall und Routineimp-
fungen. Aus Sicht der Kinder- und
Jugendheilkunde wäre es sinnvoll,
den Mutter-Kind-Pass auf Schul-
kinder auszudehnen.
Mutter-Kind-Pass beim Hausarzt:
Einblick in psychosoziales Umfeld
Hausärzte hätten über die medizi-
nische Vorgeschichte hinaus meist
einen guten Einblick in das beruf-
liche, soziale und familiäre Umfeld
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| ARZT IM LÄNDLE
07-2014