Vorarlberg, Gesundheitsversorgung

Wenn wir die Versorgung der Patient:innen in Vorarlberg auf einem hohen medizinischen Niveau künftig sichern wollen, müssen wir gemeinsam neue Wege gehen, fordern die beiden Vizepräsidenten der Ärztekammer Vorarlberg, Hermann Blaßnig und Burkhard Walla. Ärzteschaft, Land und Krankenkassen können funktionierende neue Lösungen finden, wenn Einzelinteressen hintangestellt werden. Als Beispiele für notwendige Verbesserungen nennt die Ärztekammer die Beseitigung von Hürden bei Kassenarztstellen, Maßnahmen gegen den hohen Wissensverlust durch die Pensionierungswelle und praktikable Modelle für junge Ärzt:innen - dies alles verlangt nach der Bereitschaft, starre Systeme und Strukturen in Frage zu stellen.

Überlegungen und Modelle für eine zeitgemäße Erneuerung der Gesundheitsversorgung gibt es viele, beschreibt Burkhard Walla die Situation für den niedergelassenen Bereich. Der Diskussionsprozess zwischen den Systempartnern Land Vorarlberg, dem Gesundheitsministerium als Gesetzgeber, den Kassen und der Ärzteschaft hat bereits einige Ergebnisse gebracht, diese scheitern jedoch oft an der Umsetzung in der Praxis, bzw zeigen sich in der Realität noch nicht als ausreichend.

Etwa für die PVE, die sogenannten Primärversorgungs-Einheiten, für die in Vorarlberg bislang keine Ärzte gefunden werden konnten, benötigt es als Grundlage eine GesmBH zwischen den teilnehmenden Ärzten. „Solange bei Freiwerden oder Nachbesetzung eines neuen Partners nicht die Ärzte ihr Team selbst aussuchen dürfen, oder wenn bei Ausscheiden eines der mindestens drei Partner die beiden anderen dessen Leistung ersetzen müssen, werden diese Modelle nicht angenommen“, berichtet Burkhard Walla aus seinen Erfahrungen.

Große Hürden für neue Kassenarzt-Modelle
Ähnlich verhält es sich mit einer Gemeinschaftspraxis von Kassenärzten. Im Gegensatz zur reinen Ordinationsgemeinschaft braucht es bei dieser Zusammenarbeit ebenso eine GesmBH oder eine OG, hier tragen die  Ärzt:innen füreinander die Haftung - im Extremfall auch für einen Fehler von Kolleg:innen. „Solche Überlegungen sind meist schon beim ersten Gespräch mit dem Steuerberater zu Ende“, weiß Walla. Die Forderung: Mehr Flexibilität, weniger Bürokratie und die Freiheit für die Ärzt:innen, ihre Teams selbst zusammenzustellen. Dann haben die neuen Gemeinschaftspraxen gute Chancen und die Patienten profitieren von mehreren Fachrichtungen an einem Standort.

Auftrag der Krankenkassen: Den Patienten das günstigste Medikament verschreiben
Wenn in den letzten Jahren Kassenarztstellen immer schwieriger oder gar nicht mehr besetzt werden konnten, hat das laut Walla nachvollziehbare Gründe: Das fehlende Vertrauen der Kassen in ihre Vertragsärzte hat zu einer gut organisierten und permanenten Überwachung der Ärzte geführt. „Offensichtlich geht die Krankenkasse davon aus, dass grundsätzlich Missbrauch betrieben wird, was bei den Ärzt:innen klarerweise Missmut erzeugt“, so Walla und nennt als Beispiel die Medikamentenbewilligung. Ein fachlich qualifizierter Arzt muss bei der Krankenkasse oft mehrfach ansuchen, um für seinen Patienten das notwendige Medikament bewilligt zu bekommen. Der Hintergrund: Die Kassenärzt:innen dürfen Medikamente nur nach ökonomischen Prinzipien und entsprechend starken Regulierungen verschreiben, die die behandelnden Ärzt:innen im Interesse der Gesundheit des Patienten fachlich oft anders beurteilen.

Erschwerter Zugang für Patienten zu innovativen Medikamenten
Noch drastischer ist die Situation bei innovativen Medikamenten. Um die Abgabe dieser oft teuren Medikamente an Patienten zu erschweren, werden zusätzliche Hürden eingebaut, wie das Beispiel der Lipidambulanzen zeigt, die in den Krankenhäusern Bregenz und Feldkirch neu geschaffen wurden.

Neue moderne und natürlich auch teurere Cholesterinsenker dürfen nicht vom Kassenarzt verschrieben werden, der Patient muss wochenlang warten, bis er einen Termin in der Lipidambulanz bekommt und von dort bewilligt wird, was sein Arzt für ihn als wichtige und richtige Therapie benötigt. In der Folge und zur Weiterverschreibung kehren die Patienten dann wieder zu ihrem Arzt zurück. „Ein Im-Kreis-Schicken von kranken Menschen, das fachlich-medizinisch nicht gerechtfertigt ist, denn der Lipidspezialist hat die gleichen Unterlagen und die gleiche Basis für die Entscheidung, die leitliniengerecht mit der gleichen Kompetenz vom behandelnden Internist oder Allgemeinmediziner wie von den Kolleg:innen in der Lipidambulanz verschrieben werden können - nur kennen diese ihre Patienten schon länger.“

Mehr Vertrauen, weniger Benachteiligung für Kassenärzte
Burkhard Walla weiß eine einfache Lösung für diese Benachteiligungen von Kassenärzten: Mehr Vertrauen der Krankenkassen in ihre Vertragspartner:innen und eine rasche Beseitigung der bürokratischen Hürden für Ärzte und Patienten. Dass dies möglich ist, hat die Corona-Zeit bewiesen. Da wurde die Bewilligungspflicht für Medikamente ausgesetzt und es wurden dennoch keine erhöhten Kosten verursacht.

Pensionierungswelle: Wenn 100 Jahre Erfahrung gehen
Der Generationswechsel in der Ärzteschaft verschärft die Situation zusätzlich - in den Ordinationen genauso wie in den Spitälern, berichtet Ärztekammer-Vizepräsident Hermann Blaßnig. Die anstehenden Pensionierungen von 113 niedergelassenen Ärzt:innen und 83 Spitalsärzt:innen in den nächsten fünf Jahren hat weitreichende Konsequenzen. „Allein in unserer Spitalsabteilung sind demnächst 100 Jahre chirurgische Erfahrung in Pension. Dieses Wissen kann nicht einfach ersetzt werden, denn es dauert nach dem Medizinstudium noch 10 bis 15 Jahre, bis ein Chirurg die notwendige fachliche Expertise erarbeitet hat.“ Der Mangel an erfahrenen Mediziner:innen nimmt in den nächsten Jahren weiter zu - und sollte dringend in eine gesamte Ärzte-Planung einbezogen werden: In anderen Ländern werden Ärzte-Pensionisten mit 1,8 bis 2,4 Stellen in den Planungen nachbesetzt, betont Hermann Blaßnig.

Gesundheitsplanung: Ärzte und Patienten müssen einbezogen werden
Von der Entwicklung im niedergelassenen Bereich sind auch die Krankenhäuser stark betroffen - Stichwort überfüllte Ambulanzen. Für Ärztekammer-Vizepräsident Hermann Blaßnig macht es daher Sinn, wenn die Spitäler und der niedergelassene Bereich näher zusammenrücken. „Konkurrenzdenken, isolierte Systeme und Silo-Strukturen helfen niemandem weiter. Der Patient will nur versorgt werden und zwar in den Ordinationen und im Spital gleich gut. Der Patient lebt nicht in unterschiedlichen Töpfen und Versorgungsaufträgen der Politik.“

Konkret heißt das, die Gesundheitsplanung auf die gesamte Ärzteschaft auszudehnen und nicht den niedergelassenen Bereich isoliert zu betrachten. Eine Zielsteuerungskommission ohne Einbeziehung der Ärzte, die derzeit nur vom Land und den Kassen besetzt ist, kann keine praktikablen Ergebnisse bringen, so Blaßnig: „Diesen komplexen Anforderungen können wir nur mit einem neuen Verständnis für eine umfassende Gesundheitsplanung begegnen. Dazu braucht es motivierte und leistungsbereite Ärzt:innen - was letztendlich immer den Patienten zugute kommt.“

Ärztekammer lädt zum Vorarlberger Gesundheitsgipfel am 24. November 2021
Die heutige Pressekonferenz war der Startschuss für einen weiterführenden intensiven Prozess, den die Ärztekammer entschieden vorantreiben wird. Ein erstes sichtbares Zeichen des neuen Miteinanders aller Systempartner und des Aufbrechen von alten Systemen und Strukturen wird der Gesundheitsgipfel zur Zukunft der Gesundheitsvorsorge in Vorarlberg am 24. November – mit Ärztinnen und Ärzten, die aus ihren Erfahrungen über die verschiedenen Modelle berichten, mit Jungärzt:innen und ihren Erwartungen und einer Podiumsdiskussion mit allen Systempartnern. „Ich bin zuversichtlich, dass wir in einem offenen gemeinsamen Diskurs mit dem Land und den Krankenkassen neue Lösungen und Wege finden werden“, so Hermann Blaßnig und Burkard Walla.