Gesundheitswesen, Versorgung

Im Rahmen der Debatten um die Finanzausgleichsverhandlungen, in der sich alle Systempartner mehr oder minder aktiv zu Wort melden und versuchen mit PR und öffentlichen Aussagen ihre Verhandlungspositionen zu etablieren, liest man in fast allen Medien Schlagzeilen, die das Gesundheitssystem vor dem Crash sehen. Auch in der Ärztekammer sehen wir durchaus sehr viele Alarmzeichen. Es macht zunehmend Schule, mit zum Teil rüden und aggressiven Beschwerden von Patient:innenseite seinen Unmut und die Wut kundzutun, dass das System die Bedürfnisse zu wenig rasch und intensiv abdeckt. Wir erhalten aber auch zunehmend Rückmeldungen von Ärzt:innen, die an ihre Grenzen gelangen und die systemmüde sind. Die sich überlegen nach jahrelanger Vertragstätigkeit ihre Verträge zu kündigen, oder die überlegen aus etablierten Positionen aus den Spitälern, sich zu verändern und auszusteigen. Der starke Druck ins Wahlarztsystem ist Zeichen des Exodus aus den bestehenden Systemen.

Das Versorgungssystem ist sensibel. Das Beispiel der Schließung der psychiatrischen Akutstation aufgrund von Mangel an Pflege oder die Schließung von Abteilungen der unfallchirurgischen Abteilung führen zu massiven Problemen in der Versorgung und es fehlt eine aktive Gegensteuerung. Der Pflegenotstand wirkt sich auch massiv auf uns Ärzt:innen aus.  Es ist eindeutig, dass jede Veränderung im System zu Dominoeffekten führt, die tatsächlich die Versorgung gefährden.

Was sind also die Probleme, die das Gesundheitssystem gefährden?

Das Problem Ignoranz
Ich glaube, dass es für die Motivation der Beschäftigten dringend nötig ist, dass ihre Anliegen und Kritikpunkte wahr- und ernstgenommen werden. Seit Jahren besteht das Gefühl, dass die Politik auf Kosten derer, die im Gesundheitssystem arbeiten, den Patient:innen Neuerungen und Verbesserungen verspricht, die dann zu erbringen sind, ohne dabei darauf zu achten, ob es im Bereich der Möglichkeiten liegt. Wir sind mit Gesetzesänderungen konfrontiert, die unser Arbeitsleben grundlegend verändern (Beispiel Datenschutzgrundverordnung oder Erhöhung von Qualitätsnormen oder die zunehmende Ausrichtung des Gesundheitswesens in Richtung Patient:innenbedürfnisse zu Lasten der  im Gesundheitswesen Tätigen). Häufig führen solche Veränderungen zu Frustration sowie organisatorischen und bürokratischen Mehraufwänden. Dazu kommt, dass trotz heftiger Aufschreie nach wie vor wiederholt nach Außen das Bild vermittelt wird, dass ja ohnehin alles problemlos funktioniere. Diese Ignoranz der Kritik derjenigen, die die Leistung erbringen macht wütend. Sie führt zu einem Gefühl, dass die Leistungserbringer unwichtig sind und deren Bedürfnisse nicht von Interesse. Das Schönreden führt zu einem Verlassen des Systems nicht nur bei den Ärzt:innen, sondern in allen Gesundheitsbereichen.

In diesem Zusammenhang kritisiere ich auch die wiederholte Ansage von BM Rauch, dass er die Ärztekammer in der Macht beschneiden will. Heißt nichts anderes, als dass man auf Gesetzesebene das Organ, das ohnehin bereits in vielen Bereichen ausgeklammert ist, noch mehr auf die Seite schieben will und das Mitspracherecht der Ausführenden im Gesundheitssystem beschneiden will. Ich warne vor dieser Entwicklung.

Das Problem Zentralismus
Ich habe noch gut im Ohr, wie uns unser Geographieprofessor damals die Zentralplanung in der Sowjetunion am Thema Toilettenpapier geschildert und uns erklärt hat, dass zwar zahlreiche Personen mit der 5-Jahresplanung des Bedarfs und den Aufträgen zur Produktion des Toilettenpapiers beschäftigt sind, es dann aber am Ende im Regal im Geschäft in Übermaßen vorhanden ist, oder fehlt. Dieser Vergleich fällt mir öfters ein, wenn ich sehe, wie groß das zentralistische Planungsversagen im Gesundheitssystem ist und es immer noch Akteure gibt, die meinen, vom Schreibtisch aus und teilweise ohne Einbeziehung derer, die vor Ort versorgen, planen und verordnen zu können, was im Detail zu tun ist. Es ist mir klar, dass das Gesundheitssystem, das in der Regel solidarisch über Krankenkassenbeiträge oder Steuermittel und nur zu einem geringen Teil über echte Marktstrukturen finanziert wird, eindeutig eine zentrale Festlegung braucht, wie viele Mittel und Ressourcen für die Gesundheit zur Verfügung gestellt werden. Es ist notwendig, ausreichend öffentliche Mittel in Forschung und Bildung oder in Kultur und Sport, oder aber auch in Infrastruktur und Umweltentwicklung zu stecken. Und dass alle diese Bereiche in einem großen und einem Interessensausgleich zu sehen sind, der einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess und zentrale politische Entscheidungen bracht, was und auf welchem Niveau der öffentliche und solidarische Gesundheitsbereich an Leistungen anbietet. Das ist die Aufgabe der zentralen Stellen, des Bundes und auch der Länder.

Gebraucht wird aber letztendlich wohl beides - eine zentrale Festlegung von Rahmenparametern, insbesondere was die Ressourcen betrifft, aber dann eine große dezentrale Gestaltung unter Einbeziehung derer, die die Leistung erbringen.

Das Problem der Bindung der Gesundheitskosten an das Wirtschaftswachstum
Leider erleben wir seit Langem fehlenden Mut, die Dinge so zu benennen, wie sie sind. Wer maximale Versorgung auf höchstem Niveau verspricht, kann nicht parallel Kostendämpfungen beschließen. Die Leistungen und die Notwendigkeiten im Gesundheitssystem orientieren sich nicht an der Wirtschaftsleistung. Die Menschen werden älter und sowohl quantitative als auch qualitative Ansprüche an die Leistungen steigen deutlich mehr als die Wirtschaftsleistung. Zudem erleben wir eine rasante Entwicklung von besseren und zusätzlichen Diagnose-und Behandlungsmethoden. Unabhängig von Wirtschaftsleistung und Wirtschaftswachstum. Solange Gesundheitsbudgets sich an der Wirtschaftsleistung orientieren, muss auch die Leistung des Gesundheitssystems daran orientiert festgelegt werden. Dann muss den Wähler:innen eben mitgeteilt werden, dass man nicht mehr alles was möglich wäre  als Sachleistung anbieten kann.

Mit dem jetzigen Kassensystem und den seit Jahren fixierten Kassenbeiträgen ist es teilweise nicht einmal mehr möglich, einen Inflationsausgleich für die Anbieter zu schaffen. (Siehe BVA Abschluss 2023. Unsere Verhandlungen mit der ÖGK sind ja noch nicht abgeschlossen). Wenn das nicht mehr möglich ist, ist es nur logisch, dass das Kassenvertragssystem an die Wand fährt.

Das Problem der Ansprüche
Wir erleben tagtäglich, dass uns Patient:innen sagen, was sie sich für eine Leistung aus dem Gesundheitssystem erwarten. Die Diskussionen, ob Untersuchungen oder gewünschte Therapien wirklich indiziert sind, sind mühsam und führen selten zu Verständnis bei den Patient:innen. Auch der unbegrenzte Zugang in alle Versorgungsstrukturen, in denen die Patient:innen entscheiden, was sie in Anspruch nehmen wollen,  ist uns als Problematik mehr als bekannt. Der Wunsch der Patient:innen und ihre Unbegrenztheit im System war und ist bis jetzt etwas, was man sich nicht wagt zu beschneiden. So lange man aber mit begrenzten Ressourcen arbeiten will, muss es auch Regeln für den Leistungsanspruch geben. Es braucht hier offene und ehrliche Aussagen der Politik und der Verantwortlichen in den Kassen.

Die Optimierungspotentiale
Die Knochenmarkspunktion im Krankenhaus wurde bis vor Kurzem ambulant oder tagesambulant durchgeführt. In dieser Form führt es aber zu einer betriebswirtschaftlich kräftigen Belastung der Abteilungsbudgets. Sodass die Patient:innen jetzt über Nacht für diese Untersuchung hospitalisiert werden.

Ein Beispiel für die sinnlosen taktischen Überlegungen aus dem Krankhaus, wie Leistungen im Regelwerk der LKF-Finanzierung möglichst optimal oder mit dem geringsten Schaden für die Abrechnung der Abteilungen erbracht werden können. Obwohl ja auch die Abgangsdeckung aus den Krankenhäusern aus öffentlichen Geldern und Versicherungsgeldern bezahlt wird. Es fehlt an volkswirtschaftlichen Überlegungen.

Ich bin mir sicher, dass jeder von uns sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spitalsbereich auf Anhieb eine Reihe von Maßnahmen formulieren könnte, wo Ressourcen gespart und Verbesserungsmaßnahmen gesetzt werden können. Diese Ressourcen gehören gehoben. Und man wird sie nur entdecken, wenn man die Leistungserbringer ernsthaft in die Systemgestaltung mit einbezieht.

Eines der Dinge, die in der Finanzausgleichsverhandlung massiv gefordert ist, ist die Diagnosecodierung in der Niederlassung. Ich habe ein gewisses Verständnis für dieses Anliegen der Systemverantwortlichen. Und dennoch darf dieses Anliegen unseren Ordinationsalltag nicht bürokratisch belasten. Es muss ein einfach zu bedienendes Nebenprodukt der notwendigen Dokumentation sein, das getrennt von der Honorierung ist. Andernfalls würde es zu einer schlechten Datenqualität kommen. Ich erinnere nur, dass das LKF-System in fast allen Krankenhäusern dazu führt, dass es zusätzlicher Personalressourcen bedarf, um den Dokumentationsaufwand zu erbringen und zu optimieren.

Problem 2-Klassenmedizin
Ich bekenne mich klar zu einer solidarischen Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau. Dennoch wird dieses System nur zu retten sein, wenn man es auch ermöglicht, dass zusätzlich zur solidarisch finanzierten Gesundheitsversorgung auch private Leistungen erbracht und abgerechnet werden dürfen, die dem individuellen Anspruch der Patient:innen gerecht werden. Um das Beispiel mit dem Flugzeug zu bringen: der Fluggast in der Economy Class kommt gleich schnell und sicher an der Zieldestination an, wer es aber für sich etwas komfortabler will, oder wer das bessere Essen auf dem Flug konsumieren will, kann sich das zusätzlich bezahlen. Wie uns der Wahlarztbereich zeigt, besteht eine hohe Zufriedenheit bei Patient:innen und eine große Bereitschaft, hier auch Zusatzversicherungen und Ähnliches abzuschließen. Deutschland hat mit den Igel-Leistungen einen Weg gezeigt. Anstatt das Wahlarztsystem zu begrenzen, gilt des das Kassenvertragssystem um Möglichkeiten zu erweitern.

Es ist dies sicher keine vollständige Aufzählung von Problemstellen, die das Gesundheitssystem bedrohen und in Frage stellen. Die Liste könnte noch extrem verlängert werden. Die Zeit drängt, ich glaube wirklich, dass der Druck im System hoch und eine Explosion möglich ist.

Die Verbesserungen können nur abseits von Machtansprüchen und Eitelkeiten gelöst werden. Wenn ich mir die Aussagen der Verhandler so anhöre, bin ich nicht sonderlich optimistisch, dass es gelingt.