Prävention: Das Gesundheitssystem braucht einen Paradigmenwechsel
ÖÄK, Gesundheitswesen
Beim Thema Prävention gibt es noch viel ungenutztes Potenzial. Experten fordern daher rasch einen nationalen Schulterschluss für den Ausbau von Präventionsmaßnahmen.
Durch eine gesunde Lebensweise und die Vorsorgeuntersuchen könnten 30-50 Prozent aller Krebserkrankungen vermieden werden. Das betonte Paul Sevelda, Gynäkologe und Präsident der Österreichischen Krebshilfe, im Rahmen einer Pressekonferenz der Österreichischen Ärztekammer. Voraussetzung sei dafür die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung. Leider sei beispielsweise die Teilnahmerate von etwa 50 Prozent bei Mammographien viel zu niedrig, um eine deutliche Senkung der Mortalität zu erreichen: „Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass im verbesserten Brustkrebsfrüherkennungsprogramm alle zwei Jahre ein Beratungsgespräch über die Bedeutung der Brustkrebsfrüherkennung auch von den Kassen den Ärztinnen und Ärzten refundiert wird“, sagte Sevelda. Bewegung orte er auch bei der Früherkennung und Vorsorge von Dickdarmkrebs. Ein entsprechendes Früherkennungsprogramm sei in den evidenzbasierten Durchführungsempfehlungen vom nationalen Screening Komitee bereits abgeschlossen und sehe ab dem 45. Lebensjahr entweder alle zwei Jahre eine Blutstuhluntersuchung durch den FIT-Test vor oder die Koloskopie alle 10 Jahre bei unauffälligem Befund: „Der politische Wille ist vorhanden, auch dieses organisierte Früherkennungsprogramm umzusetzen, die Detailverhandlungen mit den Kassen und der Ärztekammer sollten absehbar beginnen“, so Sevelda.
Vereinzelte Präventionsprojekte
Gesundheitsorganisationen wie die WHO und internationale
Gesundheitsexperten fordern schon lange die Verstärkung der
Prävention, betonte auch Ernährungswissenschaftler Kurt Widhalm: „Laut
neuesten epidemiologischen Studien kann ein gesunder Lebensstil bis zu
20 gesunde Jahre „schenken“ “, sagt er. In den OECD-Mitgliedsländer
würden bereits etwa acht Prozent des Gesundheitsbudgets für die
Behandlung von ernährungsabhängigen Erkrankungen aufgewendet werden:
„Dem gegenüber steht die Kostenberechnung, dass ein Euro, der in die
Prävention investiert wird, sich mit einem „return“ von sechs Euro
rentiert“, so Widhalm. Ein erfolgreiches Präventionsprogramm sei
„EDDY“, das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und
Forschung gefördert werde. Sieben- bis neunjährige Kinder in einer
Wiener Volksschule erhalten - im Vergleich zu zwei anderen
Volksschulen ohne Intervention - 20 Stunden Ernährungsschulung und
Sporttraining durch Profis des Instituts für Sportmedizin der
Universität Wien: „Die Kinder der Interventionsschule weisen nach
einem Jahr bereits eine geringere Häufigkeit von Übergewicht und eine
bessere körperliche Performance auf“, sagte Widhalm. Ein weiteres
Projekt wurde in einer großen Bank durchgeführt: Die Mitarbeiter
wurden aufgefordert, ihre Cholesterinwerte bestimmen zu lassen. Von
ca. 300 Personen wiesen etwa 70 Prozent eindeutig erhöhte LDL-C bzw.
Lp(a) Werte auf, bei etwa 90 Prozent der Personen waren meist mehrere
Familienmitglieder/Vorfahren an Herzinfarkt oder Schlaganfällen
erkrankt bzw. verstorben. Die Betroffenen erhielten eine entsprechende
ärztliche Aufklärung. „Es ist heute eindeutig bewiesen, dass durch
Vermeidung von Übergewicht (Folgeerkrankung Diabetes) und die
Früherfassung und Behandlung von Fettstoffwechselstörungen
Herzinfarkte, Schlaganfälle, etc. verhindert bzw. stark
hinausgeschoben werden können“, betonte Widhalm.
Jetzt gemeinsam Weichen stellen
So wie bisher könne man nicht weitermachten, betonte Harald
Schlögel, geschäftsführender Vizepräsident der Österreichischen
Ärztekammer: „Nur ein geringer Teil der Gesundheitsausgaben – zwischen
zwei und drei Prozent – fließt in echte Präventionsmaßnahmen und diese
Quote stagniert seit Jahren. Auf der anderen Seite kosten uns die
Folgeschäden dann erhebliche Summen.“ Es sei unverständlich, warum die
Kasse beispielsweise keine Medikamente zur Behandlung von Adipositas
bezahle, dafür aber ab einem gewissen BMI einen operativen Eingriff:
„In dieser Logik müsste der Arzt also seinem adipösen Patienten raten,
noch ordentlich zuzunehmen, damit er zu einer – wohlgemerkt
maximalinvasiven – Behandlung seiner Krankheit kommt. Dass es noch
sinnvoller wäre, schon präventiv anzusetzen, bevor es in den adipösen
Bereich geht, liegt auf der Hand“, sagte Schlögel. Und es gebe eine
Vielzahl solcher Beispiele in unserem aktuellen System. Auch in der
aktuellen Resolution der Österreichischen Ärztekammer zum
Gesundheitssystem der Zukunft steht das Kapitel „Prävention und
Vorsorge“ an erster Stelle. Zunächst einmal müsse dringend in mehr
Patienteninformation und Patientenaufklärung investiert werden, um das
nötige Bewusstsein für Prävention, Eigenverantwortung und den
stufenweisen Aufbau der Versorgungsstrukturen in der Bevölkerung zu
schaffen. Anreizsystem, wie etwa der Vorsorge-Hunderter der
Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) könnten helfen. Zudem
seien die Gesunde Jause und tägliche Turnstunde nützliche Werkzeuge,
ebenso Programme wie die Initiative Med4School der Ärztekammer für
Wien, der Wiener Krankenversicherungsträger und ihrer
Kooperationspartner. Darüber hinaus müssten aber auch
Präventionsmedizin und Gesundheitsförderung massiv ausgebaut werden,
forderte Schlögel. Die HPV-Impfung und die kostenlose
Influenza-Impfung seien positive Beispiele, aber das kostenfreie
Impfprogramm müsse erweitert werden, nämlich um alle im nationalen
Impfplan empfohlenen Impfungen. Schlögel nannte zudem den Ausbau des
Mutter-Kind-Passes zum Jugendpass und die Bedeutung der
schulärztlichen Untersuchungen. All das seien Investitionen, die sich
aber lohnen würden, und zwar „in Form von Lebensqualität, von mehr
gesunden Lebensjahren und nicht zuletzt in Form von einer deutlichen
Entlastung unseres Gesundheitssystems“, betonte Schlögel: „Es gibt in
diesem Modell nur Gewinner.“