Ärzteausbildung in Österreich: Dringender Handlungsbedarf
Die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer präsentierte die Ergebnisse der bisher größten Ärzteausbildungsevaluierung in Österreich.
Zwischen März und Mai 2023 hat die Bundeskurie der angestellten Ärzte (BKAÄ) der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) die bisher größte Ärzteausbildungsevaluierung in Österreich durchgeführt. Dabei konnten alle Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung (alle Ärzte in Basisausbildung, Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin sowie zum Facharzt) mit einem achtseitigen Fragebogen und 52 Fragen die wichtigsten Faktoren der ärztlichen Ausbildung beurteilen. Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und BKAÄ-Obmann, fasste die wichtigsten Erkenntnisse bei einer Pressekonferenz in Wien kurz zusammen: „Die ärztliche Ausbildung in Österreich ist okay, aber definitiv nicht gut genug, daher ist dringend Handlungsbedarf gegeben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Umfrage zeigt, dass kleinere Abteilungen deutlich besser ausbilden und besser beurteilt wurden – da müssen sich große Abteilungen noch mehr bemühen. Sehr gut beurteilt wurden die Lehrpraxen, eher schlecht dagegen die Basisausbildung und die Vermittlung der evidenzbasierten Medizin.“
Für die Auswertung und die technische Umsetzung war die ETH Zürich mit Projektleiter Michael Siegrist verantwortlich. 44 Prozent der Turnusärztinnen und -ärzte haben die Fragebögen ausgefüllt und retourniert, das ist das Dreifache im Vergleich zu bisherigen Online-Umfragen. In sechs Bundesländern lag die Rücklaufquote bei über 50 Prozent, herausragend war Vorarlberg mit über 65 Prozent, Schlusslicht war die Steiermark (33 Prozent). Die detaillierten Ergebnisse der Befragung sind hier abrufbar: https://www.aerztekammer.at/ausbildungsevaluierung.
Potential nach oben – Ausbildung ernst nehmen
„Einige große Abteilungen mit über elf gemeldeten Turnusärztinnen
bzw. -ärzte in Sonderfach und Allgemeinmedizin haben leider eine
Null-Prozent-Rücklaufquote aufgewiesen“, ärgerte sich Mayer. „Das darf
nicht passieren.“ So sei auch zu erklären, dass man die Rücklaufquote
in der Schweiz – dort beteiligten sich bei ähnlichen Umfragen über 70
Prozent – nicht erreichen konnte. Mayer: „Das können wir besser.“ Das
befand auch Siegrist: „Die Rücklaufquote ist für den ersten Anlauf
gut, aber es gibt noch Potential nach oben, auch beim Vergleich der
Beurteilungen mit der Schweiz. Dort gab es in allen abgefragten
Bereichen bessere Bewertungen. Rund acht Prozent der
Ausbildungsstätten haben einen aus meiner Sicht ungenügenden
Gesamtschnitt von 3,5 und darunter erzielt.“ Das Maximum liegt bei 6,0.
Positiv anzumerken ist, dass insgesamt 130 Abteilungen in den heimischen Spitälern mit mindestens 5,5 bewertet wurden. Die Top-Abteilungen wolle man vor den Vorhang holen und auszeichnen – bei jenen Abteilungen, in denen der Rücklauf gleich Null war, wolle man Gespräche und Visitationen anregen, auch wenn es nach wie vor keine gesetzliche Visitationsverordnung gibt und die Politik hier säumig ist. „Wir werden in der Bundeskurie angestellte Ärzte mit allen Kräften Überzeugungsarbeit leisten, um die Rücklaufquote im nächsten Jahr zu erhöhen. Wir können nicht von der Politik und den Krankenhausträgern fordern, Ausbildung endlich ernst zu nehmen und in die ärztliche Ausbildung zu investieren, wenn es in unseren eigenen Reihen ein teilweise sehr geringes Interesse gibt. Nur wenn wir selbst die Ausbildung ernst nehmen, wird das die Politik auch mit unseren Forderungen tun.“
Ernst nehmen werde man auch die laut Mayer „blamable Bewertung“ beim Punkt „Evidence based Medicine“, die mit 3,67 einsames Schlusslicht ist und damit auch wesentlich schlechter als in Schweiz (4,45) beurteilt wurde: „Das ist kein Ruhmesblatt für uns Ärzte. Aber auch wir sind nicht fehlerfrei und müssen uns hier deutlich verbessern – das werden wir auch standespolitisch untermauern. Aber die Detail-Ergebnisse lassen auch den Schluss zu, dass für dieses Feld, das eines der zeitaufwändigsten in der Lehre ist, offenbar die Zeit fehlt. Wir werden uns als Ärztekammer massiv dafür einsetzen, dass für das enorm wichtige Thema evidenzbasierte Medizin mehr Ausbildungszeit möglich gemacht wird.“
Der Faktor Zeit und eine Basis-Diskussion
Der Faktor Zeit steht generell im Fokus, wie auch Stefan Ferenci,
1. stellvertretender BKAÄ-Obmann, untermauerte: „Die Arbeitgeber in
unseren Spitälern müssen endlich jene Bedingungen schaffen, die
garantieren, dass eine optimale Ausbildung sowohl für die Lehrenden
als auch für die Auszubildenden innerhalb von 40 Stunden Arbeitszeit
zu schaffen ist. Die Zeiten, in denen man 80 oder mehr Stunden
arbeiten musste und wollte, sind Gott sei Dank vorbei.“ Ferenci
unterstrich auch, dass es mehr Fachärztinnen und Fachärzte brauche, um
Ausbildung zu supervidieren und dass sich die ärztliche Ausbildung in
einem Umbruch befinde: „Im Spannungsfeld zwischen immer größerer
Arbeitsbelastung im klinischen Alltag, zunehmender Spezialisierung in
der modernen Medizin und der Forderung der jüngeren Generationen nach
einer besseren Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie soll die
postgraduelle ärztliche Ausbildung in hoher Qualität stattfinden. Das
alles unter einen Hut zu bringen, ist eine der größten
Herausforderungen. Gelingt uns dies nicht, werden wir viele
Jungärztinnen und -ärzte verlieren.“
Mayer brachte die Faktoren Bürokratieabbau und Digitalisierung sowie die Forderung nach einem Ausbildungsoberarzt an jeder Abteilung, an der ausgebildet wird, ins Spiel: „Alles, was im Spital nicht analog, sondern digital erledigt werden kann und die Ärzte entlastet, ist begrüßenswert und macht Zeit für Ausbildung frei.“ Den Effekt hätte es auch, wenn man flächendeckend Ausbildungsärzte einsetzen würde: „Die Ressourcen für Ausbildung müssen sofort drastisch erhöht werden, die Ausbildung von Jungärzten ist kein Hobby.“
Nach dem erfolgreichen Abschluss eines Medizinstudiums folgt auf dem
Weg in den Arztberuf, bevor es in die konkrete Facharztausbildung
geht, die neun Monate dauernde Basisausbildung. Diese wurde sehr
schlecht bewertet. Daniel von Langen, Vorsitzender des
ÖÄK-Bildungsausschusses: „Wir müssen mutig sein und ganz konkret
drüber nachdenken, Strukturen zu ändern und darüber diskutieren, die
Basisausbildung abzuschaffen. Diese ist ein Wettbewerbsnachteil
gegenüber unseren Mitbewerbern um die besten Köpfe. In Deutschland und
in der Schweiz gibt es die Basisausbildung nicht.“ Außerdem sei das
Studium durch das Klinisch-Praktische Jahr (KPJ) kurz vor dem Ende des
Studiums mehr in Richtung Praxis weiterentwickelt worden. Was dort in
48 Wochen gelehrt und gelernt wird, sei den Lerninhalten in der
Basisausbildung sehr ähnlich: „Man könnte die praktische Ausbildung im
Studium so verfestigen, dass das KPJ die Basisausbildung 1:1 ersetzt
und wir Letztere eigentlich nicht mehr brauchen. Ziel ist es, eine
gemeinsame Strategie mit den Universitäten und Spitalsträgern zu entwickeln.“
Alle Erkenntnisse der Umfrage werden nun dazu verwendet,
Schwächen und Stärken einer Ausbildungsstätte aufzuzeigen, den
Austausch zwischen Ausbildungsverantwortlichen und den Ärzten in
Ausbildung zu fördern und Vergleiche zwischen den Ausbildungsstätten
zu ermöglichen. „Wir erhoffen uns den Effekt, dass die Abteilungen
alles für eine bessere Beurteilung unternehmen“, hofft Mayer. Dazu
gehört auch ein Wunsch, den die BKAÄ-Vertreter eint: „Es braucht
generell noch viel mehr Wertschätzung und Respekt den Jungen gegenüber
– entsprechend ihrer Expertise nach sechs Jahren Medizinstudium.“ Im
März 2024 gibt es wieder eine österreichweite
Ärzteausbildungsevaluierung, um eine kontinuierliche
Qualitätssicherung der ärztlichen Ausbildung zu garantieren.