ÖÄK, Medikamente

Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer vermisst einheitliche EU-Strategie, um Unabhängigkeit von der Medikamentenproduktion in anderen Märkten zu schaffen.

Mit Verwunderung hat Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, auf die Ankündigung der Europäischen Union reagiert, dass man mit einem freiwilligen Solidaritätsmechanismus und der Untersuchung von Lieferketten dem akuten Medikamenten-Engpass in Europa gegensteuern wolle: „Was viel wichtiger und zielführender wäre, und worauf ich schon während der Corona-Pandemie mehrfach hingewiesen habe, ist, Unabhängigkeit von anderen Märkten zu schaffen – insbesondere von der Medikamentenproduktion in Asien. Anstatt zahnlose Notfallpläne zu schmieden, muss die EU endlich eine gemeinsame Strategie entwickeln, die Herstellung von Medikamenten und Medizinprodukten innerhalb Europas zu fördern und abzusichern.“

„Abhängigkeiten von Medikamenten-Lieferungen aus Asien sind brandgefährlich“, warnt Mayer. „Wenn uns etwa China die Antibiotika-Lieferungen abdrehen würde, wäre Europas Gesundheitsversorgung schwer getroffen. Dieses Horrorszenario – es hat bis vor kurzem auch keiner gedacht, dass es mit Erdgas aus Russland Probleme geben könnte – müssen wir mit unabhängigen Lösungen innerhalb der EU abwenden. Dazu brauchen wir aber eine einheitliche, abgestimmte Strategie – diese fehlt leider noch immer.“

Unabhängigkeit schafft Versorgungssicherheit
Aktuell sind 574 Medikamente laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) in Österreich nicht oder nur eingeschränkt in der jeweiligen, angeführten Packungsgröße verfügbar. Auf dieser ständig aktualisierten Liste stehen bekannte Medikamente, von Schmerzmitteln bis hin zu Impfstoffen, Magenschutz oder Antibiotika.

Im Vorjahr hatte die österreichische Semperit AG Holding das eigene Medizingeschäft – dabei geht es um Operations- und Untersuchungshandschuhe – an einen südostasiatischen Handschuhproduzenten mit Sitz in Singapur verkauft. „Wider jede Vernunft geraten wir durch derartige Schritte in Abhängigkeiten von ausländischen Produktionsstätten, die in Österreich, einem der reichsten Länder in Europa, einfach nicht sein dürfen – hier muss man politisch gegensteuern, um so etwas zu verhindern und den Wirtschaftsstandort Österreich und die eigenen Unternehmen – speziell in diesem Bereich – zu stärken“, befindet Mayer. „Wir fördern zu wenig vorausschauend und wundern uns dann, wenn sich ein Unternehmen verabschiedet. Hier fehlt mir die gesundheitspolitische Weitsicht.“ Wie es gehe, zeige dagegen das Beispiel des Standorts Kundl in Tirol – dort hat sich die dort ansässige Antibiotika-Produktion des Unternehmens Sandoz zu einem Big Player in der weltweiten Gesundheitsversorgung entwickelt. „Das ist das Best-Practice-Beispiel. Dort werden in den nächsten zehn Jahren für die weitere Modernisierung 250 Millionen Euro investiert.“

Das zeige, so Mayer, dass man auch Geld in die Hand nehmen muss. „Gesundheit und damit auch Medikamente und deren Produktion müssen uns etwas wert sein. Ständige Engpässe sind für die betroffenen Patienten eine Zumutung und dürfen mitten in Europa eigentlich nicht stattfinden! Medizinprodukte und Medikamente für die EU müssen in der EU produziert werden, um das Risiko von Abhängigkeiten zu minimieren. Insbesondere in Krisenzeiten wie jetzt. Die Politik muss hier neue Wege aufzeichnen, damit die gesundheitliche Versorgung jederzeit und autonom gewährleistet ist. Man hatte während der Corona-Pandemie zwar die Idee, innerhalb Europas autark zu werden. Allerdings ist seitdem nichts in diese Richtung geschehen und das Thema ist wieder verpufft“, resümiert Mayer. „Eine einheitliche EU-Linie, oder meinetwegen eine gemeinsam mit den USA und Großbritannien, wurde nicht gestartet, geschweige denn umgesetzt – und ist auch kurzfristig leider nicht in Sicht. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!“