ÖÄK, Wirkstoffverschreibung

Ein Teil der aktuell vorliegenden Entwürfe zur neuen 15a-Vereinbarung im Rahmen des Finanzausgleichs ist die Wirkstoffverschreibung. Mit dieser drohen eine Vielzahl an Nachteilen und eine Gefährdung der Patientensicherheit.

Das Konzept der Wirkstoffverschreibung sieht, kurz gesagt, vor, dass Ärztinnen oder Ärzte einer Patientin oder einem Patienten statt einem bestimmten Präparat nur noch den Wirkstoff verschreiben. Die Apothekerin oder der Apotheker kann dann jenes Medikament auswählen und abgeben, das sie oder er für richtig hält. „Beziehungsweise jenes, das im Hinblick auf Lagerhaltungskosten oder andere Faktoren, die nichts mit der Gesundheit der Patientin oder des Patienten zu tun haben, am günstigsten erscheint“, merkte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, an.

Die von Gesundheitsminister Johannes Rauch geplanten Änderungen im Gesundheitsbereich im Rahmen des Finanzausgleichs, darunter eben auch die Wirkstoffverschreibung, seien aus Sicht der Ärztekammer als Interessensvertretung eine völlig inakzeptable Breitseite gegen die österreichischen Ärztinnen und Ärzte.

Schon das Zustandekommen der geplanten Neuregelungen sei eine radikale Abkehr von den bisher üblichen und bewährten demokratischen und sozialpartnerschaftlichen Umgangsformen. „Minister Rauch hat einen Gesetzesentwurf präsentiert, in dessen Entstehen die Ärztekammer in keiner Weise eingebunden war – obwohl wir im höchsten Maße davon betroffen sind“, merkt Steinhart an. Das zentrale Ziel der geplanten Regelungen sei evident: „Ärztinnen und Ärzte sollen künftig bei der Planung und Gestaltung der Gesundheitsversorgung nicht mehr mitreden können. Minister Rauch kündigt damit die jahrzehntelang bewährte Sozialpartnerschaft in der Gesundheitsversorgung auf“, so der ÖÄK-Präsident.

Auch von der geplanten verpflichtenden Einführung der Wirkstoffverschreibung sei man angesichts von täglich 400.000 Patientenkontakten österreichweit man im höchsten Maße betroffen. Mit absehbaren negativen Auswirkungen nicht nur auf Patientinnen und Patienten, sondern auch auf Ärztinnen und Ärzte. „Und jetzt soll der Beschluss auf Biegen und Brechen ohne eine Begutachtungsphase durch den Ministerrat gepeitscht werden. In Zukunft will man es sich leichter machen, und deshalb wollen Politik und Sozialversicherungen das alleinige Sagen haben. Folgerichtig war die Ärztevertretung auch bei den Plänen des Gesundheitsministers nicht eingebunden, die Wirkstoffverschreibung per Gesetz einzuführen“, resümierte Steinhart: „Mit unseren Einwänden gegen dieses Prinzip der Medikamentenvergabe, vor dem nicht nur wir als Ärztevertretung seit vielen Jahren warnen, sondern auch pharmakologische und andere Experten, will sich der Minister offensichtlich lieber nicht auseinandersetzen.“

Wutscher: „Patienten werden unnötig gefährdet“
Dass die Wirkstoffverschreibung alles andere als patientenfreundlich ist und leider schwere Nebenwirkungen hat, unterstrich Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, anhand konkreter Beispiele.

„Aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Allgemeinmediziner weiß ich: Patientinnen und Patienten können mit den Medikamenten- oder Wirkstoffnamen nichts anfangen. Sie orientieren sich an optischen Reizen: Wie sieht die Verpackung aus? Wie sieht mein Medikament aus?“, schilderte Wutscher.

Je länger Patientinnen und Patienten ein bestimmtes Präparat einnehmen würden, desto schwieriger könne man sie auf ein neues Medikament vorbereiten. Sie reagieren – verständlicherweise – verunsichert, man müsse genau Acht geben, dass es zu keinen Fehl- oder Nichteinnahmen kommt. „Bei Aut idem oder noch schlimmer bei der Wirkstoffverschreibung bekäme meine Patientin oder mein Patient im Extremfall jedes Monat ein neues Medikament. Was das für gravierende Auswirkungen auf die Therapietreue hätte, dürfte wohl jedem klar sein – außer eben den politisch Verantwortlichen, die diese Gefährdung der Patientensicherheit nicht sehen wollen oder wissentlich ignorieren“, betonte Wutscher.

Die einzigen, die von einer Wirkstoffverschreibung wirklich profitieren würden, wären die Apotheken. „Die Behebung von Engpässen oder die Entlastung des Gesundheitssystems sind Scheinargumente. Es geht ausschließlich um Lobbying und wirtschaftliche Interessen der Apotheken“, hielt Wutscher fest. Die Entscheidung des Apothekers, welches Produkt er abgibt, würde durch Gesichtspunkte wie Einkaufskonditionen und Rabatte beeinflusst werden. Gerade in einem Land wie Österreich, das im Medikamentensektor ohnehin schon als Billigpreisland gilt, könnte das fatale Folgen für die generelle Medikamentenversorgung haben, warnte Wutscher.

Agneter: „Viele Nachteile, kaum Vorteile“
Dass es bisher schon viele Diskussionen um die Wirkstoffverschreibung gab, sie aber letztendlich bislang nie eingeführt wurde, hat einen guten Grund, sagte Ernst Agneter, Pharmakologe und Inhaber des Lehrstuhles für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität: „Die Wirkstoffverschreibung hätte viele Nachteile, aber kaum Vorteile.“

Die mögliche Einsparung, die vor allem seitens der Sozialversicherung in diesem Zusammenhang immer wieder ins Treffen geführt werde, sei angesichts des engen österreichischen Preisbandes vernachlässigbar, meinte Agneter. Durch die heimische Regelung des Erstattungskodex, in dem die Preise ohnehin zugunsten der Sozialversicherungen geregelt würden, ­- ein österreichisches Alleinstellungsmerkmal -, sei auch der internationale Vergleich hinfällig. Zudem müsste auch vorgeschrieben werden, dass durch den Apotheker nur die günstigste Arzneispezialität des jeweiligen Wirkstoffes abgegeben werden dürfe – und das hätte einen gravierenden Nachteil und würde zu einer akuten Versorgungsgefährdung führen, so Agneter: „Die Preise können einmal im Monat geändert werden. Wenn nur die günstigste Arzneispezialität abgegeben werden darf, dann muss diese in diesem Monat 100 Prozent des Marktes abdecken – ohne Planungssicherheit.“ Man würde „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, so Agneter.

Auch in puncto Versorgung brächte die Wirkstoffverschreibung keinerlei Verbesserung. Das könne man gut an den Ländern beobachten, in denen sie gilt. Dort sei die Versorgung mit Arzneimitteln keinesfalls besser, teilweise sogar schlechter gewesen. „Die Einführung einer Wirkstoffverschreibung geht schief“, lautete Agneters Conclusio.