VORARLBERG, KASSENDEFIZIT

Vorarlberger Ärztekammer lehnt geforderten Solidarbeitrag ab. Öffentliches Gesundheitssystem kann nur durch Systemänderungen gerettet werden.

Mit der Forderung von ÖGK-Obmann Peter McDonald, dass die Ärzteschaft das marode Finanzsystem der Österreichischen Gesundheitskasse mit einem Solidarbeitrag retten sollen, macht die ÖGK das Scheitern der Planung und des Finanzierungssystems öffentlich.

Die Ärzteschaft selbst spürt am deutlichsten, was die Zunahme an Patientenfrequenzen Tag für Tag bedeutet. Die etwa 7-prozentigen Frequenzsteigerungen im niedergelassenen Bereich werden so gut es geht mit entsprechender Mehrleistung aller Ärztinnen und Ärzte aufgefangen. Diese Mehrarbeit wird – anders als in der Wirtschaft üblich – bereits zu einem großen Teil durch die Ärzteschaft selbst mitfinanziert. Die Abrechnungssysteme der Kassen sehen in allen Bereichen vor, dass ein Mehr an Arbeit durch Deckelungen und degressive Bezahlungsautomatismen mit weniger Geld pro Leistung oder teilweise sogar fehlender Verrechenbarkeit der Leistungen abgegolten wird. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sind bereits vielfach an und über ihrer persönlichen Leistungsgrenze. „Zu glauben, dass die Finanzierungsprobleme der ÖGK durch einen weiteren finanziellen Solidarbeitrag der Ärztinnen und Ärzte gelöst werden können, zeigt deutlich, dass man offenbar immer noch nicht bereit ist, sich der Realität zu stellen und das System nachhaltig abzusichern“, kritisiert Burkhard Walla, Präsident der Ärztekammer für Vorarlberg.

Das Kassendefizit im laufenden Jahr steuert auf eine Milliarde Euro zu. Wie zahlreiche Medien gestern und heute berichten, will ÖGK-Obmann Peter McDonald dem nun gegensteuern, indem er neben anderen Sparvorhaben von der Ärzteschaft einen Solidarbeitrag einfordert. Wie dieser aussehen könnte, wurde der Ärztekammer bereits in den laufenden Honorarverhandlungen mitgeteilt: Anders als anderen Berufsgruppen wie Politikern, Angestellten oder Arbeitern soll der Ärzteschaft nicht einmal die Teuerung abgegolten werden. Soll heißen: Während die Kosten für Personal, Praxismieten, Betriebskosten, medizinisch-technische Ausstattung etc. für Kassenärzt:innen inflationsbedingt zum Teil überdimensional steigen, soll deren Honorar nicht valorisiert werden. Das bedeutet einen Verlust des Realeinkommens.

Niedergelassener Bereich muss gestärkt werden
„Die Gesundheitspolitik redet seit Jahren davon, den niedergelassenen Bereich zu stärken und das Kassensystem attraktiver zu machen“, sagt der Ärztekammer-Präsident, „mit einer nun angedachten Einkommensreduzierung wird das aber wohl kaum gelingen.“ Dabei sei die Situation schon heute mehr als angespannt. „Früher war ein Kassenvertrag für die Ärzteschaft etwas Begehrtes, heute finden wir selbst für die viel zu wenigen offenen Stellen immer weniger Interessierte“, sagt Walla. Die Ärztekammer fordert deshalb schon lange grundlegende Systemänderungen, die auch die Kostenexplosion eindämmen würden.

Wenn man die Zahlen genauer analysiert, sieht man, dass das eigentliche Problem der Finanzierung nicht die Valorisierung der ärztlichen Honorare ist. Die deutlich gestiegenen Kosten sind auf den Wahlarztrückersatz, der seit der elektronischen Einreichung der Honorarnoten an die Kasse explodiert ist, und die generelle Zunahme am Bedarf an ärztlicher Leistung zurückzuführen. Die

Zentralplaner des Gesundheitssystems sind jetzt offenbar überrascht davon, dass die Bevölkerung mehr Leistung in Anspruch nimmt, und dass das auch entsprechend mehr kostet. „Seit Jahren wissen wir, dass die Bevölkerung älter wird und daher mehr an Leistung beansprucht. Davon jetzt überrascht zu sein, macht das Versagen der Planung öffentlich“, sagt Walla.

Die Ärztekammer fordert seit Jahren, Regulative für die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu schaffen. „Es braucht dringend eine verbindliche Patientenlenkung, die definiert, wer wann welche Struktur in Anspruch nehmen darf“, fordert Walla. Das führt dann auch zu mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit: Nicht jedes Wehwehchen braucht ärztliche Zuwendung, nur weil diese von der Kasse bezahlt wird. Hier verweist Walla auch auf geltendes Recht: So definiert das ASVG für den kassenärztlichen Bereich, dass das Maß des Notwendigen bei Diagnostik und Therapie nicht überschritten werden darf. „Hier muss die Kasse endlich exakt definieren, was von ihr finanziert wird und was nicht.“ Neben dieser solidarisch finanzierten Basis auf hohem Niveau muss es den Patient:innen dann aber auch möglich sein, die gewünschten zusätzlichen Leistungen privat zu bezahlen (analog der IGeL-Regelung in Deutschland). Ein zusätzlich ermöglichter Privatanteil würde nebenbei auch Kassenvertragsstellen interessanter und leichter besetzbar machen.

Kassenstellen müssen attraktiver werden
Auch ein generell eingehobener Kostenbeitrag bei der ÖGK, wie bei SVS oder BVAEB üblich, generiert zusätzliches Geld zur Abdeckung des Gesamtbedarfs – natürlich mit Befreiungsmöglichkeiten für sozial schwache Menschen. „Einen solchen sozialverträglichen Selbstbehalt kann die ÖGK jederzeit einführen“, sagt Walla. Parallel dazu müssen Kassenstellen attraktiver gemacht werden. Dazu braucht es flexiblere und auf individuelle Bedürfnisse angepasste Verträge und einen angepassten Leistungskatalog. Zudem braucht es mehr Freiheiten bei der Medikamentenabgabe in den Praxen. Und es braucht weniger Bürokratie, hier insbesondere die Abschaffung oder zumindest Reduzierung der Chefarztpflicht.

„Hausaufgaben, die das Kassensystem stärken und gleichzeitig Kosten senken, hat die ÖGK mehr als genug, die müssen jetzt endlich erledigt werden“, sagt Ärztekammer-Präsident Burkhard Walla, der auch auf die gemeinsam von Land Vorarlberg, Österreichischer Gesundheitskasse und Ärztekammer für Vorarlberg in Auftrag gegebene Ärztebedarfsstudie von 2023 hinweist: Laut dieser werden 135 zusätzliche Ärzt:innen bis zum Jahr 2031 für Vorarlberg benötigt, nur um den Status quo in der Versorgung aufrecht erhalten zu können: davon 71 in Krankenhäusern, 37 in Facharztpraxen und 27 Hausärzt:innen. „Wenn Teile der Ärzteschaft jetzt zum Stopfen des Budgetlochs der ÖGK herhalten sollen, wird das Kassensystem zunehmend unattraktiver und dieses Ziel rückt in weite Ferne – zu Lasten der Vorarlberger Bevölkerung“, warnt Walla.