Ärztliche Hausapotheken als Säule der medizinischen Versorgung
ÖSTERREICH, HAUSAPOTHEKEN
Ein duales System mit einem Nebeneinander von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken würde die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten bei gleichbleibenden Kosten enorm verbessern. Die ärztliche Hausapotheke ist eine Chance für die bestmögliche medizinische Versorgung der Menschen im niedergelassenen Bereich.
Für die medikamentöse Versorgung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern sind Spitalsapotheken unverzichtbar. Die medikamentöse Versorgung von Patientinnen und Patienten durch ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt unterliegt jedoch immer größeren gesetzlichen Restriktionen, die Zahl der hausapothekenführenden Niederlassungen nimmt stetig ab. Und in den Primärversorgungseinrichtungen, von der Gesundheitspolitik derzeit massiv beworben, hat der Gesetzgeber ganz auf die Möglichkeit von Hausapotheken vergessen.
Eine zeitgemäße, patientennahe Versorgung sieht anders aus, sagen Carmen Berti-Zambanini, Obfrau des Schutzverbandes der Hausapotheken führenden Ärztinnen und Ärzte Österreichs, und Silvester Hutgrabner, Leiter des Referats für Hausapotheken und Medikamentenangelegenheiten der Österreichischen Ärztekammer. Sie fordern den Schutz der ärztlichen Hausapotheken und das Recht auf Medikamentenabgabe für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.
Den Betrieb von ärztlichen Hausapotheken regelt das veraltete Apothekengesetz. Dort heißt es allerdings, dass im Umkreis von vier Straßenkilometern einer öffentlichen Apotheke keine ärztliche Hausapotheke bewilligt werden darf, im Umkreis zwischen vier und sechs Kilometern nur in Form einer Nachfolgepraxis. „Und genau da liegt der Kern des Problems“, sagt Allgemeinmediziner Silvester Hutgrabner. Bis 1998 gab es österreichweit knapp 1.000 öffentliche Apotheken und 1.100 ärztliche Hausapotheken. Nach etlichen Gesetzesnovellen und höchstgerichtlichen Entscheidungen hat sich die Zahl der ärztlichen Hausapotheken auf aktuell rund 800 verringert, während die Zahl der öffentlichen Apotheken auf gut 1450 gestiegen ist. In Vorarlberg gibt es derzeit 18 hausapothekenführende Ärzte und 55 öffentliche Apotheken.
Zweiklassengesellschaft beim Besorgen von Medikamenten
„Der kranken Kuh geht es besser als dem Bauern, denn der Tierarzt hat im Gegensatz zum Humanmediziner beim Hausbesuch alle Medikamente mit dabei“, veranschaulicht Berti-Zambanini die Situation. Die Bregenzerwälder Allgemeinmedizinerin verlangt mehr Rücksichtnahme auf die alternde und immobilere Gesellschaft: „Wer nicht mobil ist, braucht immer jemanden, um die benötigten Medikamente zu besorgen. So haben wir schon eine Zweiklassengesellschaft beim Besorgen von Medikamenten: Die, die noch fit genug für den Weg zur Apotheke sind, und die, die andere bitten müssen, ihnen die nötigen Medikamente zu besorgen.“
Berti-Zambanini nennt ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie hier auf Kosten der Bevölkerung vorgegangen wird: „Geht ein Arzt, der in seiner Ordination eine Hausapotheke führt, auf Urlaub, darf der Arzt, der ihn in dieser Zeit in der Praxis vertritt, keine Medikamente aus der Hausapotheke abgegeben.“ Und für Hutgrabner ist völlig unverständlich, dass Primärversorgungseinrichtungen überhaupt keine Hausapotheken führen dürfen: „Sie können sich in PVEs zwar von mehreren Allgemeinmedizinern, Kinderärzten behandeln lassen, von Sozialarbeitern oder zur richtigen Ernährung beraten lassen oder sich massieren lassen – aber Medikamente dürfen die Ärztinnen und Ärzte dort keine mitgeben. Der für die Kranken umständliche, meist zeitaufwändige Weg zur nächsten Apotheke bleibt bestehen.“
Hutgrabner und Berti-Zambanini fordern daher die Streichung der Kilometerbegrenzung und der Nachfolgeregelung im Apothekergesetzt. Ein nächster, logischer Schritt ist dann das Dispensierrecht, also die Möglichkeit für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Medikamente abzugeben. Die Hausapotheke für Ärztinnen und Ärzte mit Ordination ist nämlich das, was die Anstaltsapotheke für die Ärztinnen und Ärzte im Spital ist.
Mehrere wichtige Vorteile für Patient:innen
Berti-Zambanini und Hutgrabner begründen ihre Forderungen nach einer Liberalisierung bei der Eröffnung und beim Erhalt von Hausapotheken insbesondere mit drei entscheidenden Vorteilen:
- Der Hausarzt kann bei Hausbesuchen die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten direkt sicherstellen. In Zeiten moderner Logistik sind Umwege über Apotheken für Patientinnen und Patienten nicht zu rechtfertigen. Wenn der Arzt zu einem Hausbesuch kommt, ist der Patient im Regelfall so krank, dass er auf den Hausbesuch angewiesen ist und keine beschwerlichen Wege in eine Apotheke auf sich nehmen kann.
- Ärztliche Hausapotheken haben auch auf die Umwelt eine positive Auswirkung: Bei einem flächendeckenden Ausbau würde man laut einer Studie der Johannes Kepler Universität Linz fast 15.000 Tonnen CO2 im Jahr einsparen, wenn Patientinnen und Patienten nicht in eine öffentliche Apotheke fahren müssen, um dort ihre Medikamente zu kaufen. Das entspricht Fahrten von über 71 Millionen PKW-Kilometer.
- Bessere Besetzung von Kassenstellen: Österreichweit gibt es aktuell knapp 300 unbesetzte Kassenstellen. Laut Studie des Beratungsnetzwerks Kreutner, Fischer & Partner kann davon ausgegangen werden, dass durch den Ausbau der ärztlichen Hausapotheken die Anzahl der niedergelassenen Ärzte mit Kassenordinationen österreichweit um bis zu 400 zunimmt.