Zusammenhalt

Solidarische Gesellschaften sind gesünder. Das haben zahlreiche Forschungsarbeiten bereits eindrücklich unter Beweis gestellt. Der soziale Zusammenhalt der Generationen, Geschlechter und Bevölkerungsgruppen ist zentral für die Lebensqualität in einer Gesellschaft, für ihr Fortkommen und das Gestalten einer lebenswerten Zukunft. Das trifft natürlich auch auf Teilgesellschaften zu – zum Beispiel auf die Ärzteschaft. In dieser zeigen sich aber Risse, die eine gemeinsame Gestaltung des Vorarlberger Gesundheitssystems zum Wohle aller gefährden.

Die aktuellen Spannungen haben mehrere Ursachen. Da sind die Nachwehen der Pandemie, die auch einen Keil zwischen Gesellschaftsgruppen getrieben hat. Das Verhältnis zwischen Ärzt:innen und Patien:innen wurde in manchen Fällen nachhaltig getrübt, hier stieg die Anforderung der Patientenschaft, dort sank deren Eigenverantwortung, dazwischen schwand das Vertrauen. Dann der permanente Einsatz von medizinischem und Pflegepersonal unter schwierigsten Umständen teils bis zur Erschöpfung – eine Müdigkeit, die bei einigen von uns bis heute anhält. Nach der Pandemie die erdrückende Inflation, der Krieg in der Ukraine, die Kämpfe im Gaza-Streifen und die Ungewissheit, wie lange unser Wohlstand und unsere Sicherheit noch in so hohem Maß wie bisher gewährleistet sind. Diese Sorgen und Ängste bedrücken jede und jeden von uns, ob bewusst oder unbewusst, die Reaktionen darauf reichen mitunter von Ungeduld über Gereiztheit und Wut bis zur Verzweiflung.

Trotz alledem unsere tägliche Arbeit in einem Gesundheits-System, das am Rande seiner Leistungsfähigkeit steht. Ärztinnen und Ärzte fehlen in den Krankenhäusern genauso wie im niedergelassenen Bereich. Hier wie dort stehen Patientinnen und Patienten Schlange, hier wie dort kritisieren sie Wartezeiten, hier wie dort fordern sie eine bessere Versorgung. Der Druck auf die Ärzteschaft nimmt dadurch weiter zu. Und dennoch: Alle Kolleginnen und Kollegen geben täglich ihr Bestes. Die Überweisung eines Patienten vom Allgemeinmediziner an eine Fachärztin ist kein Abschieben eines Kranken aus Lustlosigkeit, die Überweisung einer Patientin aus einer Ordination in ein Spital ist kein Abschieben einer Kranken aus Zeitmangel. Die oben erwähnten Risse zeigen sich immer öfter an genau diesen Schnittstellen.

Sieht man sich diese Problemzonen genauer an, zeigt sich vielerorts ein mangelndes Verständnis für die Situation der Kolleg:innen, eine fehlende Kenntnis über deren alltägliche Arbeit innerhalb ihrer vorgegebenen Rahmenbedingungen. Gegenseitiges Vertrauen ist hier der beste Mörtel, um diese Risse zu kitten, angerührt mit gegenseitigem Respekt. Keine Ärztin und kein Arzt arbeitet, um den Kolleginnen und Kollegen das Leben schwer zu machen. Alle arbeiten im Verantwortungsbewusstsein für die Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten. Alle ziehen daher am selben Strang, wenngleich in unterschiedlichen Rollen und Einrichtungen.

Um das Vorarlberger Gesundheitssystem zum Wohle aller weiterentwickeln zu können, braucht es Solidarität innerhalb der Ärzteschaft, braucht es gegenseitiges Vertrauen und gegenseitigen Respekt. Zwietracht schwächt, Gemeinschaft stärkt. Und Stärke brauchen wir derzeit mehr denn je, pfeift uns doch in diesem Superwahljahr seitens der Gesundheitspolitik ein eisiger Wind entgegen. Um die laufenden Verhandlungen für bessere Arbeitsbedingungen in Ordinationen und Spitälern erfolgreich abschließen zu können, ist die Ärztekammer auf eine solidarische Ärzteschaft angewiesen. Denn es geht um unser aller künftiges Berufsleben.