Veränderung lässt sich nicht aufhalten
GESCHICHTE
Reform stößt immer auf Widerstand. Und der kommt zumeist von jenen, die Veränderung nicht als Chance, sondern als Angriff auf ihre bisherigen Vorrechte und Pfründe sehen. „Alles, was Menschenhände geschaffen, ist Männerwerk“, wehrt sich seinerzeit zum Beispiel der Leiter der Chirurgie im Wiener Allgemeinen Krankenhaus gegen Frauen, die Medizin studieren wollen: „Gott schütze jeden vor dieser Unheilsarmee!“
Der Widerstand des Mediziners und vieler seiner Kollegen wird mit Argumenten wie kleinere Hirnmasse, weniger Leistungsfähigkeit, Gefühlswallungen, Menstruation, Klimakterium, Schwangerschaften und Kindererziehung geführt, wie die Journalistin Birgit Kofler in ihrem gerade erschienenen Buch „Ärztinnen, die Geschichte schrieben“ (Ampuls Verlag) erzählt. Doch all das hält die Entwicklung nicht auf. Im Jahr 1900 werden erstmals in Österreich Frauen zum Medizinstudium zugelassen.
Heute, exakt 125 Jahre später, beginnen mehr als 1.800 junge Menschen ihr Medizinstudium in Österreich, mehr als die Hälfte davon sind Frauen. Von mehr als 1.800 aktiven Ärztinnen und Ärzten in Vorarlberg sind inzwischen schon gut 45 Prozent weiblich. Tendenz steigend. In den Fachgebieten Gynäkologie, Dermatologie, Kinder- und Jugendheilkunde, Lungenheilkunde, Pathologie und in den psychiatrischen Fächern gibt es bereits mehr Frauen als Männer. Die Vorarlberger Kammer war die erste in Österreich, die diesem Trend schon vor einigen Jahren Rechnung getragen und den Namen in „Kammer für Ärztinnen und Ärzte“ geändert hat. Da trifft es sich geografisch wie zeitlich recht gut, dass seit vergangener Woche auch im Vorarlberger Landtag – als erstem in Österreich – genau so viel männlich wie weibliche Abgeordnete sitzen. Und dass es für Kassenärztinnen nun auch eine Mutterschutzleistung gibt, ist ebenfalls ein Vorarlberger Unikat.
Der Weg zur Geschlechter(chancen)gleichheit in der Medizin war steinig und bleibt es, denn wir sind noch nicht an dessen Ende angelangt, wie österreichweite Daten zeigen: Der Anteil von Medizinerinnen in den Abteilungsleitungen und ärztlichen Direktionen liegt nicht einmal bei 20 Prozent. Dennoch wird die Medizin immer weiblicher und die damit einhergehende Veränderung lässt sich nicht aufhalten. Auch – und das ist ein entscheidender Punkt – was die Veränderung im Anspruch der jungen Ärztinnen von heute und morgen an ihr Berufsleben betrifft. Nicht nur Lebenswelt ändern sich, auch Berufswelten befinden sich im steten Wandel.
Hier braucht es beispielsweise im niedergelassenen Bereich wesentlich mehr Flexibilität seitens Politik und ÖGK, sonst wird sie bald keine Ärztinnen und Ärzte mehr finden, um den Versorgungsauftrag erfüllen zu können. Es braucht Visionen, Bewegung, Engagement, den Willen und den Mut, das Gesundheitssystem zu verändern und in die Zukunft zu führen. All das sehe ich aktuell aber weder bei der Gesundheitskasse noch bei der Politik – die kann sich übrigens das leidige Argument, es sei zu teuer, sparen, denn am Geld scheitert es nicht, nur an dessen (partei)politischer Verteilung.
Apropos ÖGK: Wir haben noch immer kein Angebot für eine Valorisierung der Honorare. Die nächste Gesprächsrunde dazu findet Mitte des Monats statt – wir werden Sie danach informieren.