DIGITALE MEDIZIN

Es setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Primärversorgungseinheiten (PVEs) nicht die alleinige Lösung zur Entlastung der Ambulanzen und zur Rettung des Gesundheitssystems darstellen. Mit den jüngsten 15-A-Vereinbarungen und im Gesundheitsreformgesetz wird nun die digitale Medizin als Schlüssellösung für die Zukunft propagiert. Keine Frage – digitale Möglichkeiten werden die Medizin revolutionieren, zusätzliche Angebote zur bestehenden ärztlichen Versorgung müssen deshalb etabliert werden. Besonders die künstliche Intelligenz bietet großes Potenzial, das überlastete System zu entlasten. Allerdings müssen diese Maßnahmen in einem sinnvollen Kontext und in Zusammenarbeit mit den Leistungserbringern entwickelt werden.

Die Gesundheitshotline 1450 wird bereits als zukunftsweisende Lösung beworben. Sie soll nicht nur telefonische Abfragen und Weiterverweisungen ermöglichen, sondern weitere Dienstleistungen wie Terminvergaben in Ambulanzen und Ordinationen bieten. Politiker auf Bundes- und Landesebene sehen in der 1450 eine zentrale Drehscheibe der Gesundheitsversorgung. Ein funktionierendes Filtersystem zur Patientenlenkung ist sinnvoll, doch gibt es Bedenken, dass die 1450 zu einem Rundum-Sorglos-Paket für Patienten werden soll. Die aktuelle Bewerbung der Hotline mit einer „stechenden Biene“ wird dazu führen, dass Patienten bei jedem noch so banalen Anliegen das System in Anspruch nehmen und damit die Eigenverantwortung der Patienten weiter abnimmt.

Ein weiteres Problem stellt die schnellere Terminvergabe beim Facharzt dar. Zwar könnte eine „Fast Lane“ über 1450 etabliert werden, doch das Problem liegt nicht in der Organisation, sondern in den fehlenden Facharztkapazitäten. Diese werden durch 1450 nicht behoben, sondern könnten sogar zusätzlich belastet werden.

Kürzlich hat die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ein Ambulatorium für digitale Medizin ausgeschrieben. Dabei fallen zwei Punkte auf: Zum einen wird ein Partner gesucht, der die ÖGK organisatorisch und technisch unterstützt, ohne dabei Gewinn zu erzielen. Es ist fraglich, ob sich ein Unternehmen, das nicht in öffentlicher Verantwortung steht, auf eine solche Ausschreibung bewirbt. Zum anderen sollen über diese Institution digitale Kontakte für die Ausstellung von Rezepten oder Krankmeldungen genutzt werden. Für niedergelassene Ärzte bedeutet dies, dass der regelmäßige Patientenkontakt verloren geht und die Qualität der Versorgung leidet. Zudem wurde den Ärzten nach der Pandemie die Möglichkeit der digitalen Krankmeldung wieder entzogen. Ist es wirklich einfacher, Patienten, die man nicht kennt und die sich bei einer anonymen Stelle melden, digital zu betreuen, als bei ihrem Hausarzt?

Wie sieht die Zukunft aus? Werden Patienten eine Hotline anrufen und nach 10 Minuten in der Warteschleife frustriert auflegen? Werden sie mit einem Chatbot kommunizieren, der sie nach längerer elektronischer Kommunikation an eine Krankenschwester oder einen Arzt weitervermittelt? Können solche Stellen Patienten wirklich aus der Ferne behandeln oder dienen sie nur dazu, zu filtern, wer überhaupt einen Arztkontakt benötigt? Wer übernimmt die Haftung bei Fehlbehandlungen aufgrund der schwierigen Einschätzung per Telefon oder Video?

In der Schweiz gibt es bereits solche Systeme. Patienten, die sich bereit erklären, sich zunächst digital einordnen zu lassen, erhalten niedrigere Versicherungsprämien. Allerdings funktionieren diese Systeme oft schlecht, da sie in einer Größe eingerichtet sein müssten, die kaum leistbar ist. Daher die Forderung: Die Ärzteschaft muss in diese Entwicklungen eingebunden und den niedergelassenen Ärzten die Möglichkeit der digitalen Patientenbetreuung eingeräumt werden. Solange man glaubt, eine Parallelstruktur ohne gemeinsame Entwicklung einführen zu können, droht ein zusätzliches, teures und nicht funktionierendes System.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen und erholsamen Sommer.